Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
auch die Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Nun warfen die Neger die Äxte zu Boden und stürzten auf sie zu. Sie strauchelte, als die vielen großen Männer auf sie eindrangen. In dem Augenblick des höchsten Schreckens löste sich etwas in ihrer Kehle, und sie begann laut zu schreien. Aber sie wurde trotzdem in die Höhe gehoben. Der eine Neger, der sie trug, stolperte über eine Baumwurzel und fiel zu Boden. Ein anderer riß sie hoch und schleifte sie weiter. Ihr Kleid blieb an den Sträuchern und den scharfen Blättern der kleinen Palmen hängen, und Stacheln kratzten ihr Gesicht auf. Plötzlich hörte sie einen donnerähnlichen Fall hinter sich, und als die Neger gleich darauf stillstanden, sah sie Philip. Er schob die Sklaven beiseite, kniete neben ihr nieder und nahm sie in die Arme.
»Ist dir nichts geschehen, Judith?«
Sie klammerte sich an ihn und fühlte, daß Blut über ihre Wange lief.
»Philip!« stöhnte sie atemlos. »Philip, was wollten die Kerle?«
Die Neger standen grinsend und schwatzend um sie herum. »Philip!« rief sie wieder. »Was wollten sie?«
Er lachte laut auf.
»Liebe Judith, ich habe dir doch gesagt, du möchtest nicht in den Wald gehen. Haben sie dir nicht zugerufen, daß du fortlaufen solltest?«
Er hatte sich auf die Erde gesetzt und hielt sie in den Armen wie ein kleines Kind. Sie fühlte ein Würgen in der Kehle.
»Sie haben alle plötzlich auf mich eingeschrien. Ich – ich dachte, sie wollten mich ermorden und auffressen.«
Er lachte immer noch.
»Liebes Kind, ein großer Baum stürzte um und hätte dich sicher erschlagen. Sie haben dir zugerufen, daß du schnell aus dem Wege gehen sollst, aber da du nicht machtest, daß du fortkamst, blieb nichts anderes übrig, als dich aufzuheben und fortzutragen. Sie haben es gut gemeint und dafür eine Extraportion Pökelfleisch verdient.«
»Du sollst mich nicht auslachen«, erwiderte sie ärgerlich und stand auf. Philip klopfte Erde und trockene Blätter von den Beinen ab. Sein Hemd war an den Schultern stark durchgeschwitzt, und sein volles blondes Haar, das mit einem Band zusammengehalten wurde, war an beiden Seiten des Scheitels naß.
Judith ging nach dem Blockhaus zurück. Sie fühlte sich unbedeutend und nutzlos, und sie war böse auf Philip, weil er sie ausgelacht hatte.
Er folgte ihr und legte den Arm um ihre Schultern.
»Ich bin hungrig wie ein Berglöwe. Hoffentlich hat Tibby recht viel gekocht.«
»Es gibt Gumbo mit Garnelen und Reis.«
»Großartig! Es ist eine mühsame Arbeit, den Wald umzuroden, und man wird hungrig davon. Sieh doch nur, Judith, wieviel sie heute schon am Haus gearbeitet haben! Wenn es möglich wäre, ein paar Leute mehr bei der Feldarbeit zu sparen, könnten wir noch vor dem Winter einziehen.«
Er ging nicht besonders schnell, aber es fiel ihr schwer, mit ihm Schritt zu halten. Ihre Kleider klebten an den Beinen, und wieder wurde sie schwindlig von der Hitze.
»Im nächsten Sommer«, sagte Philip, »wird dort drüben, wo sie jetzt die Bäume umhauen, ein großes Indigofeld stehen. Dann folgt ein Tabakfeld. In ein paar Jahren müßten wir die ganzen Wälder abgeholzt haben. Indigo bringt übrigens die besten Ernten. Aber wir werden auch Reis bauen und Orangenbäume anpflanzen, vielleicht auch ein paar Äcker Baumwolle.«
Er kümmert sich nur um seine Ernten, um weiter nichts, dachte sie rebellisch. Er sieht nicht einmal, wie elend ich mich fühle. Ich bin nicht viel mehr für ihn als Tibby auch …
Plötzlich lehnte sie den Kopf gegen die Wand des Blockhauses und brach in Tränen aus.
Philip blieb stehen und nahm sie in die Arme. Sein Ton verriet, wie erstaunt und besorgt er war.
»Aber Judith, Liebling, was in aller Welt fehlt dir denn?«
All ihre Entschlußkraft schien geschwunden zu sein. Judith verbarg das Gesicht an seiner Brust und schluchzte.
»Ich – ich kann nicht mehr!« sagte sie mit halberstickter Stimme. »Die Hitze und alles – und ich kann nicht atmen, mein Kopf schmerzt immer – ich bin so krank, und ich glaube, ich werde sterben.«
Philip zog sie an sich und küßte die Tränen von ihren Wangen.
»Mein armes, liebes Kind! Das ist der erste heiße Sommer, den du erlebst, nicht wahr? Komm nach innen.«
»Aber da ist doch das Feuer«, widersprach sie, aber offenbar hatte er nicht gehört, was sie sagte, denn er zog sie hinein. Mit größter Mühe drängte Judith die Tränen zurück. Philip schob eine Kiste in die Ecke, die am weitesten vom Feuer entfernt war, und
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