Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
niemand schien zu glauben, daß etwas geschehen würde, bis sie eines Tages im September die Nachricht erhielten, daß die spanischen Truppen unter dem Befehl des Gouverneurs Galvez am Westufer des Flusses nach Norden marschierten. Philip bemerkte nur kühl, daß das Westufer ja Spanien gehöre und der Gouverneur zweifellos das Recht habe, mit seinen Soldaten dort aufzumarschieren.
Aber Judith wurde von panischem Schrecken erfaßt. Sie befahl der Amme, die beiden Kinder in ihr eigenes Schlafzimmer zu bringen, so daß sie bei ihr und Philip schliefen. Die halbe Nacht lag sie wach und fürchtete, Kanonendonner vom anderen Ufer zu hören. Philip schlief friedlich, nachdem er ihr versichert hatte, Señor Galvez sei viel zu klug und vernünftig, um die Indigoplantagen zu zerstören.
Als der Morgen dämmerte, war von den Soldaten nichts mehr zu sehen, und es zeigte sich, daß Philip recht gehabt hatte.
Es vergingen Tage, bis sie erfuhren, was aus den Truppen geworden war. An einem Sonntagmorgen brachte Philip die Nachricht, als Judith sich gerade zur Kirche anzog. Sie trug ein neues Kleid aus schillernder, blauer Seide über einem gestreiften Unterkleid und betrachtete sich im Spiegel, als Philip ins Zimmer trat. Er war schon früh am Morgen fortgeritten, um sich zu erkundigen, was in der Welt vorging.
»Du mußt machen, daß du fertig wirst«, sagte Judith. »Ich habe Angelique schon gesagt, daß sie deine Kleider und die Perücke herauslegen soll, an der du die Locken hast eindrehen lassen. Mach schnell, sonst kommen wir zu spät.«
Er legte die Hand auf ihre Schultern und drehte sie zu sich um. »Ich habe eine große Neuigkeit: Heute geht es nicht in die Kirche.«
»Nicht in die Kirche? Was redest du denn?« Judith schob die Unterlippe vor. Offenbar war Philip in einer Kneipe gewesen und hatte zuviel getrunken.
»Wir wollen nach Lynhaven fahren. Gervaise kann uns Unterricht darin geben, wie man den Rosenkranz betet. Wir sind keine Engländer mehr. Wir sind jetzt Spanier – Katholiken – Heiden –, niemand weiß, was wir eigentlich sind, denn die Bekanntmachungen sind in Spanisch abgefaßt, und es gibt in der ganzen Stadt keine drei Leute, die sie lesen können.« Er lachte und kniff sie in die Backe.
Judith starrte ihn an. »Philip, das klingt ja fast, als ob du betrunken bist. Was soll das alles heißen?«
Er nahm seine Pfeife und stopfte sie. »Klingle und sage Angelique, daß sie mir ein Licht bringen soll. Alles mögliche ist los. Señor Galvez ist mit seinen Truppen nach Baton Rouge marschiert –«
»Du kannst selbst klingeln. Was gibt es sonst noch?«
»Er hat das Fort eingenommen. Die englische Garnison hat ja sowieso seit Jahren nichts getan. Die Kerle haben sich nur gelangweilt und waren wahrscheinlich froh, daß sie abgelöst wurden –«
Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Nimm die Pfeife aus dem Mund und rede doch endlich klar! Was ist denn geschehen?«
»Und dann«, fuhr Philip fort, indem er sich aufs Bett niederließ und an der Klingel zog, »schickte er Hauptmann Delavillebeuvre –«
»Was für einen Hauptmann?«
»Mein Gott, ich kann doch auch nichts dafür, daß der Mann so heißt! Also, Galvez schickte ihn nach Natchez, das kaum befestigt war, um den Stadtvätern mitzuteilen, daß alle englischen Niederlassungen von dort bis nach Manchac jetzt unter der Obrigkeit von Señor Galvez, dem Gouverneur von Neuorleans, und Seiner Majestät dem König von Spanien stünden. Und die mußten entweder Dankeschön sagen oder Krieg anfangen – bring mir ein Licht, Angelique.«
»Ja, Mr. Philip.« Die Dienerin verließ das Zimmer und lachte leise.
Judith setzte sich zu ihm auf das Bett. »Um Himmels willen, erzähle doch weiter. Wird es Krieg geben?«
»Natürlich nicht, Sie sagten Dankeschön, und nun leben wir eben alle in der spanischen Provinz Louisiana.«
Judith seufzte. »Was hast du vorher von der Kirche gesagt?«
»Die ist zugeschlossen, mein liebes Kind. Du glaubst doch nicht etwa, daß es in einer spanischen Kolonie protestantischen Gottesdienst gibt? Ich wünschte nur, ich hätte hören können, was Sylvie Durham sagte, als Alan ihr die Nachricht brachte! Aber schließlich ist es nur gerecht. Als die Franzosen dieses Land an England abtraten, mußten alle katholischen Priester den Laden zumachen –« Er lachte und nahm das Wachslicht, das Angelique ihm reichte. »Danke. Bring uns eine Flasche Burgunder. Wir wollen auf das Wohl des Königs von Spanien trinken.«
Judith war
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