Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
schaute zu ihm auf, erfaßte mit einem Blick sein ganzes unbeschreiblich angemessenes Äußeres: das dicke, stets verwirrte Haar, seine listigen kleinen Augen, seinen gierigen Mund und dies grobe, quere Kinn; das Kinn eines Mannes, der da wußte, was er wollte, und der, verdammt noch mal, auch kriegen würde, was er wollte! Dieser Gilday: ein gottloser Lump! Keine Menschenseele in diesem ganzen Dalroyer Bezirk, die nicht besser dran wäre, wenn er plötzlich mit Tod abginge! Aber er besaß in Vollkommenheit, was sie selbst bisher noch immer hatte entbehren müssen: diese blanke Entschlossenheit zum Erfolg um jeden Preis, auch um den des Verbrechens, und diese selbstverständliche Sicherheit, mit welcher er ohne Reue oder Mitleid beiseite fegte, was sich ihm in den Weg stellte. Von einer Gewalt, die stärker war als sie selbst, wurde sie ihm in die Arme getrieben; sie vermochte diesem saugenden Verlangen nicht zu widerstehen. Ein Gefühl, aus Ehrfurcht, Bewunderung und gespannter Entdeckerfreude gemischt, beherrschte sie vollkommen.
»Ach, weiß der liebe Himmel, Mr. Gilday …«, begann sie stockend und beinahe heiser von neuem, »ich meine – – wie heißt du eigentlich mit Vornamen?«
»Sam«, sagte er und lächelte zu ihr nieder.
»Sam, du bist – glaube ich –, du bist ein wunderbarer Mann!«
Schon überkam ihn wieder jenes Lachen, das für ihn bezeichnend war; doch diesmal spürte sie leiblich selbst, wie das Gelächter, ein tief sitzendes Beben, seinen Körper durchfuhr. Er sagte: »Du und ich – wir werden uns wunderbar amüsieren!«
Sie flüsterte: »Das werden wir bestimmt!«
Zehntes Kapitel
A ls Gilday anbot, ihr ein ganzes Haus zu mieten, rieselte Corrie May ein seltsamer Schauer den Rücken hinunter. Es handelte sich um das vornehme Gebäude mit dem stolzen Balkon, unter dem einst Corrie May gestanden und gejubelt hatte, als in des Krieges Maienblüte die Soldaten ins Feld hinauszogen. Es gehörte den Durhams; der Schiffsverkehr auf dem Strom lag danieder, und die Steuern auf Grundbesitz waren in so schwindelnde Höhen geklettert, daß die Familie ihren kostspieligen Wohnsitz nicht länger halten konnte.
Gilday meinte, er würde es gern mieten, aber nur dann, wenn es ihr Spaß machte. Aber als sie das Haus besichtigt hatte, war sie enttäuscht. Von außen machte es einen grandiosen Eindruck mit seinen breiten Galerien und seinen hohen Fenstern, aber von innen – die Wände des großen Gesellschaftszimmers waren einfach weiß gestrichen; nur unter der Decke zog sich eine Bordüre von gemalten Weinranken entlang.
Corrie May bat Gilday um die Erlaubnis, das Haus ein wenig verschönern zu dürfen; gewiß, sie sollte nur loslegen; auch ihm käme es zu simpel vor.
So machte sie sich an die Arbeit, glühend vor Eifer. Die vorderen Räume wurden mit einer Tapete ausgeschlagen, in der Halle blaue Tapeten an die Wände geklebt, über die güldene Blumensträuße, durch rosa Bänder und Bögen miteinander verknüpft, unzählbar ausgeschüttet waren.
Um die Fenster ließ Corrie May goldgelbe Samtvorhänge drapieren und mit goldenen Kordeln hochschürzen. Über dem Kamin im Empfangszimmer wurde ein goldgerahmter Spiegel aufgehängt und zwischen den Fenstern ein gewaltiges rotes Plüschsofa aufgebaut. Den Speisesaal staffierte sie mit prächtigen Gemälden von Früchten und Fischen aus, damit der Appetit der Gäste nicht der künstlerischen Anregung entbehrte; Glasschränkchen wurden aufgebaut – knollig geräumige Karaffen aus rosa Kristall erglitzerten darin und ein eitel aufgestelltes Porzellanservice, mit fröhlich dahinsprengenden Ponys geschmückt.
Gilday zahlte für alles und jedes, halb erheitert und halb befriedigt.
Sie mit so viel Lust Geld verschwenden zu sehen bereitete ihm nicht geringes Vergnügen. »Das ist wunderbar, das ist herrlich!« erklärte sie ihm atemlos mit strahlenden Augen wieder und wieder; er lachte dann und kniff sie in die Backe. »Mach nur immer so weiter, Kindchen! Ich sagte dir ja: jetzt sind wir dran!«
Aber wenn sie es auch schon ungemein genoß, ihr Haus aufs feinste herauszuputzen, so war doch letztlich der Genuß, neue Kleider anzupassen und zu bestellen, durch nichts zu übertreffen. Zuerst mochte sie kaum daran glauben, daß sie einfach ins nächste Geschäft stolzieren und ganze Berge von Tuchen und Stoffen durchwühlen durfte, als wäre sie eine große Dame. Sie trat zunächst nur furchtsam an die Ladentische: »Darf ich mir etwas in Popeline
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