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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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im Zimmer auf und ab, um ihrer eigenen Ratlosigkeit Herr zu werden; die schmalen Rinnsale von Schweiß, die über ihr Gesicht herniederglitten, wischte sie sich mit dem Ärmel ab, ohne zu merken, daß er längst naß und fleckig war. In der zweiten Stunde nach Mitternacht vernahm sie endlich Napoleon, wie er heimkehrend die Haustür aufschloß. Sie eilte treppab, ihn zu sprechen.
    Seine nächtliche Fahrt hatte keinen Erfolg gezeitigt. Er händigte ihr das Medaillon wieder aus. »Einen Pfandleiher habe ich aus dem Bett geholt«, erzählte er. »Der sagte mir, daß er keine Geschäfte mehr mache; er leihe kein Geld mehr aus; auf gar nichts mehr. Dann habe ich nach dem Mann gesucht, der das Eishaus unter sich hat, und habe ihn auch gefunden. Ich dachte, daß er vielleicht das Schmuckstück behält, bis wir es wieder einlösen, und uns so lange Eis darauf leiht. Aber er hatte kein Eis vorrätig, das zu verkaufen war. Jemand, der nächste Woche eine große Gesellschaft gibt, hat alles Eis aufgekauft und im voraus dafür bezahlt.«
    Ann ließ sich in einen Stuhl fallen; die Beine wollten sie nicht mehr tragen.
    Schließlich raffte sie sich von neuem auf. »Napoleon«, sagte sie, »ich weiß, wie müde du bist. Aber du mußt mir helfen. Fahre nach Silberwald hinüber und hole meinen Bruder. Vielleicht weiß er, was zu tun ist.«
    Napoleon schlich mit hängenden Schultern wieder hinaus; Ann stieg die Treppen abermals empor. Virginia glühte vor Fieber; sie murmelte unverständliche Worte; zuweilen jammerte sie leise. Es gab also Eis in der Stadt, viel Eis sogar. Aber irgendwer wollte ein Fest feiern – – Feste!
    Gegen Morgen sank Virginia betäubt in einen Schlaf äußerster Erschöpfung. Erst nach Sonnenaufgang kehrte Napoleon mit Jerry zurück. Ann stolperte zur Halle hinunter.
    »Hast du Geld?« fragte sie ihren Bruder atemlos.
    Er steckte seine Hand in die Tasche. »Drei Dollar«, sagte er.
    »Komm, sieh dir Virginia an!«
    Jerry brachte kein Wort heraus, als er vor dem Kinderbettchen stand. Er drehte sich kurz auf dem Hacken um und kehrte zu Ann zurück. Jerry war jetzt einunddreißig Jahre alt; man hätte ihn auf fünfzig schätzen können. Der Skorbut hatte sein Haar ergrauen lassen, die ›Rekonstruktion‹ tiefe Falten in sein Gesicht gegraben. Er trug einen Anzug aus selbstgewebtem grobem Stoff und dazu ein altes gefälteltes Hemd, in welchem er vor dem Kriege Sarah Purcell seine Besuche abgestattet hatte. Er zog die Tür hinter sich zu und sagte mit leiser Stimme: »Ja, Ann, sie ist wirklich sehr krank!«
    »Kann man denn gar nichts tun, Jerry?« rief sie verzweifelt.
    »Ich weiß nichts«, erwiderte er offen. Es entsprach nicht seiner Natur, falschen Trost anzubieten. »Wenn ich Geld genug besäße, könnte ich vielleicht die Arbeiter am Eishaus bestechen. Napoleon erzählte mir, daß bis zum nächsten Dienstag das gesamte einlaufende Eis vorweg bestellt und bezahlt ist. Von einer gewissen Upjohn –!«
    »Upjohn?« Sie preßte ihre Hände gegeneinander, beinahe rasend vor hilflosem Zorn. »Weil diese elende kleine Hure eine Gesellschaft gibt, muß ich abseits stehen und mein Kind sterben sehen?«
    Jerry faßte ihre verkrampften Hände in die seinen und führte sie zu einem Stuhl an der Wand. »Ich fahre zur Stadt und suche sie auf. Kennst du sie?«
    »Sie hat für mich gearbeitet; du mußt sie gelegentlich hier gesehen haben.« Ann faßte in ihre Tasche und holte das Medaillon hervor. »Suche sie auf, Jerry! Sage ihr, das Medaillon sei ihres, wenn sie mir für eine Woche Eis zubilligt.«
    Er nickte und stapfte eilig die Wendeltreppe hinunter. Ann schlich sich in Virginias Zimmer und legte sich neben sie aufs Bett; sie war am Ende ihrer Kraft. Der Himmel hatte sich bezogen; die Luft glich heißem Wasserdampf.
II
    J errys Gaul war müde, und er war es auch und hungrig dazu. Er hatte nichts weiter als eine Tasse Kaffee und ein Stück vom gestrigen Maiskuchen zu sich genommen, als Napoleon ihn aus den Federn holte. Erst ein Dutzend Umfragen klärte ihn darüber auf, wo diese Upjohn zu finden war. Endlich stand er vor der richtigen Tür; er zog die Glocke.
    Ein farbiges Mädchen öffnete. Nein, sagte sie, Miß Corrie May wär' nicht zu Hause. Sie mochte zur Schneiderin gegangen sein oder zu einem von den Bäckern oder wer weiß wohin. Sie wäre mit der Vorbereitung für eine große Gesellschaft beschäftigt und hätte deshalb kaum Zeit für andere Dinge. Mr. Gilday – der sei auch nicht zu Hause. Um diese

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