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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Fenster. Die schimmernden Sommernächte – wie oft hatten Denis und sie in dieses violenfarbene Dunkel hinausgeträumt und sich wohl zugeflüstert, die Sterne wären vom Himmel gefallen und im langwallenden Moos an den Bäumen hängengeblieben. Aber sie und Denis waren stets so gesund gewesen, daß sie nie auf den Gedanken kamen, solche Nächte könnten ebenso gefährlich werden, wie sie schön sind.
    Sie wandte sich vom Fenster fort und blickte durch die Sternenblasse Finsternis zu Virginia hinüber. In den ersten Stunden der Nacht hatte Virginia kreischend deliriert; nun war sie ruhig geworden. Ann biß sich in die Faust, um das Schluchzen zu ersticken, das ihr in die Kehle stieg. Ach, Herr im Himmel, wo blieb Jerry?
    Als der Tag anbrach, fiel sie auf dem Bett neben Virginia in tiefen Schlaf, schrecklich erschöpft, wie sie war. Erst die Schmerzensschreie des Kindes weckten sie von neuem. Der Tag erhob sich glänzend über dem Land wie die vorhergegangenen und ebenso gnadenlos. Ann schickte Napoleon in die Stadt; er sollte erkunden, wo Jerry verblieben war.
    Sie fürchtete sich, Virginia irgend etwas zu essen zu geben; noch heftiger wurde sie von der Furcht gepeinigt, daß auch der kleine Denis erkranken könnte; in diesem Wetter war es fast unmöglich, für unverdorbene Nahrung zu sorgen. Aber Denis schien nicht daran zu denken, krank zu werden; er protestierte ergrimmt gegen das ewige gekochte Gemüse, das ihm vorgesetzt wurde, und verlangte nach Milch und Fleisch. Aber das gab es nicht; so blieb er gesund wie ein Fisch im Wasser. Ann überließ ihn der Fürsorge Mammys und widmete sich ausschließlich der erbarmungswürdigen kleinen Virginia. Wenn nur Jerry Eis beschaffte! Mußte man sich ständig übergeben, so ließ sich zuweilen der Krampf beschwichtigen, wenn man ein Stück Eis auf der Zunge zerschmelzen ließ. Virginia behielt nicht einmal das kühle Wasser bei sich, das Napoleon aus der tiefsten Tiefe des Brunnens emporwand.
    Dann kehrte Napoleon endlich wieder und berichtete, Jerry wäre verhaftet; er hätte Gilday tätlich angegriffen. Ann war die Treppen hinuntergeeilt, als Napoleons Gefährt die Allee heraufklapperte. Napoleon gab müde, stockend und erregt seine traurige Kunde von sich; Ann sank auf die Treppenstufen nieder; sie lehnte ihr Haupt an das staubige Geländer und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »O Gott, ich bitte dich, lasse sie wieder gesund werden!« wisperte sie verzweifelt. »Tu mir dies nicht an. Ich kann nichts mehr ertragen.«
    Ihr war, als blickte sie in die schneidend kalten Augen Gildays; sie glitzerten vor Hohn, nicht anders als die Corrie Mays; sie sah hinter ihren geschlossenen Lidern das Mädchen vor sich, aufgetakelt mit allem modischen Putz und Prunk und Widersinn; die beiden lachten ironisch, lachten sie aus, sie, die einst vielbeneidete Besitzerin von Ardeith. Die beiden schienen ihr zuzurufen: »Du kannst nichts mehr ertragen? Oh, ja, du kannst! Wir sind noch nicht mit dir quitt!«
    Ann wankte die Treppe hoch. Sie stieß auf Cynthia vor der Tür des Kinderzimmers.
    »Ann …« stammelte sie. Ann hatte ihr kaum ins Antlitz geblickt, da stieß sie die Schwägerin beiseite und stürzte ins Zimmer. Cynthia hatte das Leinen über der kleinen Dulderin Gesicht gezogen. Ann mochte nicht glauben, was dies bedeutete, und riß das Laken wieder fort. Aber Cynthia hatte sich nicht getäuscht, wenn auch Virginias armseliges Körperchen noch heiß vom Fieber war, in dem es hatte verglühen müssen.
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Kissen neben dem stillen Totenantlitz. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, daß dies bevorstand. Noch in den vergangenen Tagen, als die Furcht ihr schwer zu schaffen machte, hatte sie an das Allerschlimmste nicht glauben wollen.
    Nun war Virginia tot, ein so kleines Mädchen. Keiner wird sie vermissen, dachte Ann. Sie ist schon so gut wie vergessen. Ich allein werde an sie denken.
    Und sie dachte auch an Corrie May und ihre Gesellschaft. Da würde es Schüsseln und Flaschen geben, tief in Eis verpackt, ganze Blöcke von Eis und kleine Klümpchen davon und winzige Splitter und Splitterchen; und alle würden im Kerzenschein glitzern – wie Diamanten!
IV
    I n den Wochen danach fühlte sich Ann so geschlagen, daß sie zuzeiten gar nicht mehr danach fragte, ob Ardeith erhalten blieb oder auch nur sie selbst. Sie wollte nicht mehr nachdenken; sie wollte nur noch vergessen. Sie dankte dem Himmel, daß so viel Alkohol im Weinkeller lagerte; das war das

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