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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Sekretär lag des kleinen Denis Schreibarbeit; neben ihm wartete in einem Korbe abgetragene Wäsche, die zu flicken war. Ann beachtete sie nicht. Ihre Nerven hatten nach dem ekelhaften Auftritt mit Gilday und Corrie May noch nicht aufgehört zu zucken. Während sie ihr Kleid aufknöpfte, faßte sie mit der freien Hand in das obere Fach des Schrankes. Sie zögerte, zog die Hand wieder zurück und griff dann doch nach der Whiskyflasche, die dort verborgen stand. Dutzende von Malen schon hatte sie beschlossen, keinen Whisky mehr in ihrem Zimmer aufzubewahren: die Versuchung, die Flasche anzusetzen, war zu stark, wenn sie stets griffbereit dastand und die Tür verschlossen war. Während sie das Glas von ihrem Waschständer zur Hälfte vollaufen ließ, fragte sie sich ärgerlich, was, in Gottes Namen, ihr andres übrigblieb, wenn Leib und Seele nach Betäubung geradezu schrien! Der Vorrat an geistigen Getränken im Keller von Ardeith erwies sich als unerschöpflich – wie geschaffen, der Verzweiflung dieser Tage Herr zu werden. Moralinsauer über den Alkohol zu predigen – das war kein großes Kunststück. Wer durchzumachen hatte, was sie durchmachte, dem war der Trost des Alkohols zu gönnen. So seltsam mutig wurde man davon; und er zauberte nachts den Schlaf herbei, wenn man so übermüdet war, daß man nicht einschlafen konnte.
    Die Sonne war schon untergegangen; das Zwielicht schwebte im Raum wie Rauch; immer noch drückte die Hitze schwer. Der Whisky schien dicht unter ihrer Haut entlangzugleiten, wo es heiß wie in einem feurigen Ofen rumorte; die Hitze innen und die Hitze außen schienen sich gut zu entsprechen. Eine Ahnung von Frieden überkam sie. Doch schon nach wenigen Minuten klopfte es an der Tür.
    Ann gab zunächst keine Antwort; das Klopfen wiederholte sich. Sie vernahm, wie Cynthias Stimme nach ihr rief. Ann schreckte hoch, ärgerlich und auch verwirrt. Cynthia war inzwischen achtzehn Jahre alt geworden, ein seltsam hartes und schwieriges Geschöpf. Ihre Stimme klang stets ein wenig schrill; in den Umrissen ihres Gesichts und ihrer Figur behaupteten scharfe Ecken und Kanten weitaus den Vorrang vor sanfteren Rundungen. Und ebenso bewegte sie sich auch: eckig und hastig. Außer einer klaren Haut hatte sie keines der Attribute weiblicher Schönheit aufzuweisen. Sich liebenswürdig zu geben und zu benehmen – dafür bewies sie nur geringe Begabung. Ann mochte zuweilen nichts von Cynthia wissen; doch versagte sie der jüngeren Schwägerin nie ihre Bewunderung.
    »Ann!« rief Cynthia von neuem.
    Langsam raffte Ann sich auf. »Ja? Was gibt's?«
    »Öffne bitte die Tür!«
    Ann stellte die Whiskyflasche wieder in den Schrank zurück und gehorchte widerstrebend.
    Mochte Cynthia spüren, daß Ann getrunken hatte – sie ließ sich nichts anmerken. Sie besaß ein besonderes Talent dafür, sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten zu kümmern. Sie sagte nichts weiter als: »Entschuldige, daß ich dich störe! Virginia geht es schlecht!«
    »Schon wieder?« Ann seufzte. Das arme Puppenkind war allzu zart, die heißen Sommer nahmen es heftig mit. »Was fehlt ihr?«
    Cynthias Gesicht lag in noch ernsteren Falten als gewöhnlich. »Es ist nicht nur einer ihrer üblichen kleinen Anfälle, Ann. Es geht ihr wirklich furchtbar schlecht. Denis sagte mir eben, daß du vor einer Weile nach Hause gekommen wärst. Da wollte ich dir sofort Bescheid sagen.«
    »Komm!« rief Ann und lief voran zum Kinderzimmer. Mammy hatte am Bettchen der Kleinen gesessen und sprang auf.
    »O Madame! Dem Himmel sei Dank, daß du endlich da bist. Der Kleinen geht es so schlecht.«
    Ann beugte sich über das Bett. Virginia wurde im kommenden Oktober vier Jahre alt; sie war klein für ihr Alter. Ihr Gesicht zeigte sich hoch gerötet; sie wimmerte leise. Ein einziger Blick sagte der Mutter, daß Cynthia sich nicht geirrt hatte: das Kind war schwer krank. Jähe Furcht wallte in Ann hoch. Sie legte ihre Hand auf die glühende Stirn des Kindes und murmelte: »Ich bin es, Liebling: Mutter!« Ann blickte zu Cynthia hinüber, die ihr gefolgt und am Fußende des Bettes stehengeblieben war. »Wann hat dieser Zustand angefangen?«
    »Bald, nachdem du fort warst. Sie fing an zu schreien und fortwährend nach ihrem Bäuchlein zu fassen. Sie hat sich dann schrecklich übergeben müssen. Ob ihr irgendwas beim Mittagessen nicht bekommen ist?«
    »Wahrscheinlich die Milch nicht!« Anns Stimme hörte sich rauh an wie Sandpapier; als die furchtbare Hitzewelle

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