Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
sagte sie. Die Frau erwiderte giftig: »Ich auch nicht. Ich muß meine Miete haben. Dies ist keine Kinderbewahranstalt. Ich vermiete meine Zimmer für Geld und nicht um anderer Leute schöner Augen willen.«
Sie öffnete Corrie Mays Koffer und blickte hinein. Die modischen Kleider prunkten immer noch verführerisch. Das Weib grinste gierig: »Die behalt' ich erst mal!« murrte sie mit gebleckten Zähnen. »Du machst jetzt, daß du 'rauskommst!«
Zu andrer Zeit hätte Corrie May sie wohl angeschrien. Jetzt fühlte sie sich derart krank, daß es leichter war, einfach zu gehorchen. Sie raffte sich mühsam zusammen und stolperte wortlos auf die Straße hinaus.
Das Wetter hatte sich aufgehellt; die Luft duftete ein wenig nach Frühling. Corrie May lehnte sich an die Häuserwand und blickte den Leuten nach, die vorübergingen. Da war keiner, der von ihr Notiz nahm. Sie blieb stehen, wo sie stand, fühlte sich zu schwer, um weiterzugehen; würgende Übelkeit peinigte sie unausgesetzt. Am Ende vermochte sie sich nicht länger aufrecht zu halten; sie setzte sich in den Rinnstein.
Ein kitzliges Gefühl machte sich in der Gegend ihres Magens bemerkbar. Wann hatte sie zum letztenmal gegessen? Gestern wohl, oder am Tag davor? Nein, gestern! Sie hatte sich zur Hinterseite des Logierhauses geschlichen und ein Stück Maisbrot und einen alten Kohlkopf im Mülleimer gefunden. Daher stammte wohl dies verrückte Gefühl im Magen, als wenn sie sich übergeben müßte und könnte es nicht. Es ging ihr so elend, daß sie weiter nicht zu denken vermochte. Sie bestand aus nichts anderem mehr als Übelkeit.
Ein schwarzer Polizist, der vorüberschlenderte, stieß sie mit dem Fuße an und befahl ihr, sich fortzuscheren – und sie wankte willenlos die Straße entlang. Ohne es eigentlich vorzuhaben, wandte sie sich zum Hafen. Müde sah sie den schwarzen Arbeitern zu, wie sie die Schiffe beluden. Nicht mehr so viele wie früher lagen an den Landungsbrücken. Corrie May blickte sich um: was hatte es einst für Spaß bereitet, hier zu stehen und die Welt vorüberrauschen zu lassen, stromauf und stromab. Was auch immer geschehen mochte, der Mississippi strömte dahin, unbeirrbar dahin; seine goldenen Fluten wallten dem Meere zu, unwandelbar und voller Gleichmut. Der Strom – so wollte es scheinen –, er allein blieb der gleiche. Die ganze übrige Welt – sie hielt nicht Stich.
Da stand sie nun, krank und müde und hungrig, und keine Menschenseele fragte danach. Aber sie selbst, sie fragte danach. Und wie sie danach fragte! Corrie May ließ sich von der alten guten Sonne bescheinen, am Ufer des alten guten Flusses, und wußte mit einem Male, daß sie trotz allem den Kampf noch nicht aufgab; eine kleine mutige Stimme rief unablässig aus dem Dickicht der Verzweiflung, daß sie noch längst nicht verloren wäre. Man gab sich nicht geschlagen, solange man noch am Leben war und entschlossen, den Kopf über Wasser zu halten.
Allerdings hatte sie jetzt für zwei Leute zu sorgen; für das Kind und sich selbst. Mit Entsetzen erinnerte sie sich daran, daß sie schon nicht mehr danach gefragt hatte, ob ihr Kind am Leben blieb oder nicht. Sie hatte es sich nicht gewünscht; sie hatte es gehaßt, weil es Gildays Kind war; Gilday hatte sie im Stich gelassen. Aber nach allem: es war ja auch ihr eigenes Kind! Vielleicht gelangte es in der Welt zu Macht und Einfluß. Sie wollte ihm die Weisheit mitteilen, die sie selbst so schwer errungen hatte: man muß seine Entschlüsse fassen und dann dazu stehen, koste es, was es wolle! Das war schon etwas, ein Kind danach zu erziehen! Häuser und Pflanzungen vermochte sie ihm nicht zu vererben; doch die Kunst, wie man mit Bitternissen und Rückschlägen fertig wird, sie ist auch etwas wert!
Sie hockte sich seitlings auf eine Kiste; ein Neger lud Fässer in einen Wagen. Er kletterte auf den Kutschersitz und trieb das Maultier an, lenkte es dann in die Richtung der Straße, die zu den Plantagen hinausführte. Corrie May mußte des Tages gedenken, an dem sie in großer Angst und Entmutigung nach Ardeith hinausgefahren war, um dort Arbeit zu erbitten. An jenem Tage hatte Ann ihr nichts als Gutes angetan. Eigentlich auch später stets, wenn sie die Wahrheit sagen sollte. Aufreizend war sie zwar gewesen in ihrer Albernheit und Putzsucht; aber ein böses Herz hatte sie nie bewiesen. Und es dämmerte Corrie May in diesen Augenblicken, wie wenig Leute sie aufzuzählen vermochte, von denen sie nie etwas anderes als
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