Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
nachzähle und in der Nähstube herumstehe, wenn die Kleider für die Feldarbeiter zugeschnitten werden, damit kein Stoff verlorengeht –?«
Jerry lachte laut heraus: »Heiliges Kanonenrohr, Ann! Denis ist doch kein Dummkopf!«
»Offenbar hältst du mich dafür.« Ann nagte an ihrer Unterlippe. »Ich weiß, daß ich nicht besonders tüchtig bin. Aber schwachsinnig, wie alle Welt annimmt, bin ich auch nicht. Ich kann Klavier spielen; ich tanze vorzüglich, was du wissen würdest, wenn du jemals mit mir getanzt hättest. Madame Bertrand hat stets gesagt, meine Aussprache des Französischen wäre so gut wie vollkommen – und das will viel heißen, denn eigentlich hielt sie alle Amerikaner für eine Art von Wilden, die auf Büffeln spazierenreiten. Ich kann sticken und häkeln, und ich weiß, wie man Gesellschaften gibt und die Gäste unterhält.«
Jerry nickte voller Ernst: »Das alles klingt, als hätte der Herrgott dich speziell zur Mrs. Denis Larne vorbestimmt!«
Ann stützte ihre Arme auf das Kaminsims und lehnte ihre Stirn daran. Sie wünschte, ihre Mutter wäre noch am Leben, sie zu beraten. Die Mutter war gestorben, als Ann erst zehn Jahre zählte. Ach, sie entsann sich gut der schwarzhaarigen liebenswürdigen Frau, die Haus und Dasein mit heller Fröhlichkeit erfüllt hatte! Wie anders wirkte die gemessene Zurückhaltung der alten Mrs. Larne.
In diesem Augenblick ging die Tür auf und Mammy keuchte ins Zimmer; sie trug zwei große Krüge Wasser.
»Massa Jerry! Schämst du dich gar nicht? Kommst hier 'rein, und deine junge Schwester hat nicht mal Kleider an?«
Ann und Jerry wandten sich lachend um. Ann war erleichtert: Mammy erschien gerade im rechten Augenblick. So schwierige Gedanken auszuloten, behagte ihr wenig; es erforderte zuviel Zeit und Mühe.
»Sie hat doch einen Haufen Kleider an!« verteidigte sich Jerry.
»Stimmt gar nicht, Massa Jerry! Und jetzt muß ich sie baden. Marsch, hinaus! Du hast hier nichts zu suchen. Bestimmt hast du Besseres zu tun, als hier herumzuhocken.«
»Nicht die Spur, Mammy! Laß mich nur in Frieden. Ich bin so brav wie möglich gewesen; hab' den ganzen Morgen lang die Felder abgeritten.«
»Hast du den neuen Aufseher gesehen?« fragte Ann.
»Natürlich! Er heißt Gilday. Er hat ein großes, rotes Gesicht und spricht mit einem Nordstaaten-Akzent, als hätte er eine Stimmgabel in der Nase.«
»Wenn er aus dem Norden kommt, versteht er dann, wie Baumwolle angepflanzt wird?«
»Er sagt, er lebte schon eine ganze Weile im Süden und verstände sich auf den Baumwollbau. Aber er geht niederträchtig mit den Negern um. Dann wird er auch die Felder schlecht behandeln; meist geht das Hand in Hand. Ich glaube, wir können ihn nicht behalten.«
»Jetzt aber hinaus, Massa Jerry!« befahl Mammy abermals.
»Ich gehe schon. Was hast du also vor, Ann?« Jerry schickte sich gehorsam an, den Raum zu verlassen.
»Ich will in die Stadt fahren.«
»Draußen ist es entsetzlich heiß. Die Hitze wird deinen sogenannten Verstand zum Sieden bringen.«
»Das macht nichts. Ich habe etwas zu erledigen. Oder etwa nicht?«
Ohne zu antworten, zog er die Tür hinter sich ins Schloß und stieg pfeifend die Treppe hinunter.
Mammy half Ann aus ihrem Morgenrock und Nachtgewand; sie ließ nicht ab, vor sich hin zu murren, wie schlecht sich neuerdings die jungen Leute benähmen. Sie schleppte die Badewanne aus ihrem Versteck hervor, einem verhängten Alkoven, und goß das kühle Wasser ein. Ann erschauerte zuerst darin, aber dann streckte sie sich wohlig aus. Ab und zu streifte sie Mammys ehrbares Antlitz mit vergnügten Blicken. Mammy nörgelte unaufhörlich weiter; dabei nahm Ann den ersten Platz in ihrem Herzen ein. Ann war von Mammy an voluminösem Busen genährt worden, als sie noch ein Säugling war, und seither von ihr gewaschen, an- und ausgezogen und gescholten worden. Mammy hätte jeden anderen gevierteilt, der Bemerkungen über ihr weißes Kind gewagt hätte, wie sie selbst sie von früh bis spät im Munde führte.
Als sie fertig angezogen war, schaute Ann noch einmal prüfend in den Spiegel. Heut sollte Denis mich treffen, dachte sie, ihm würde einfach der Atem stocken! Ihr grünes Reitkleid lag rund um sie auf dem Boden gebreitet und verlieh ihr ein seltsam gedehntes Aussehen, als spiegelte sie sich im Boden eines blanken Silberlöffels; oberhalb der Taille umschloß das Kleid ihre Figur wie angegossen. Ann saß gern zu Pferde – nicht zuletzt deshalb, weil eine gute Figur auf
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