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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schmeckt vorzüglich.«
    Pierre entschloß sich, zu essen, denn er mußte sich stärken. An einem kleinen Tisch in der Nähe erblickte er soeben Frau Vigneron und Frau Chaise. Die Damen, die einander gegenübersaßen, schienen zu warten. In der Tat kamen auch alsbald Herr Vigneron und sein Sohn Gustave, der noch sehr blaß, war und sich schwerer auf seine Krücke stützte.
    »Setze dich neben deine Tante!« sagte Herr Vigneron. »Ich werde neben deiner Mutter Platz nehmen.«
    Als er darauf seine zwei Nachbarn bemerkte, näherte er sich.
    »Sehen Sie«, sagte er, »Gustave ist vollständig wiederhergestellt. Ich habe ihn soeben mit Kölnischem Wasser eingerieben, und bald wird er sein Bad im Weiher nehmen können.«
    Er setzte sich zu Tisch und aß gierig. Er sprach ganz laut von dem eben ausgestandenen Schrecken, so sehr hatte ihn die Furcht erschüttert, seinen Sohn vor der Tante sterben zu sehen. Diese erzählte, sie hätte sich, als sie am Abend vorher vor der Grotte kniete, plötzlich erleichtert gefühlt. Sie bildete sich ein, von ihrer Herzkrankheit geheilt zu sein, und zählte genaue Einzelheiten auf, die ihr Schwager mit großen, unwillkürlich unruhigen Augen anhörte. Gewiß, er war ein guter Mensch und hatte noch nie jemandes Tod gewünscht: aber beim Gedanken, die Heilige Jungfrau könnte dieser alten Frau die Gesundheit wiedergeben und seinen jungen Sohn vergessen, geriet er in Entrüstung. Er war schon bei den Koteletts, als er zu bemerken glaubte, daß Frau Chaise mit ihrem Neffen schmollte.
    »Gustave«, sagte er auf einmal, »hast du deine Tante um Verzeihung gebeten?«
    Der erstaunte Knabe öffnete weit die hellen Augen in seinem schmalen Gesicht.
    »Ja, du bist unartig gewesen, du hast sie oben zurückgestoßen, als sie helfen wollte, dich niederzusetzen.«
    Frau Chaise schwieg mit überaus würdiger Miene und wartete, während Gustave ohne Hunger den Knochen seines in kleine Stücke zerschnittenen Koteletts loslöste. Er hielt die Augen auf seinen Teller gesenkt und hatte sich in den Kopf gesetzt, diesmal das traurige Werk der Zärtlichkeit, das man ihm auferlegte, zu verweigern.
    »Nun, Gustave! Sei lieb! Du weißt, wie gut deine Tante ist, und was sie alles für dich zu tun gedenkt.«
    Nein, nein! Er wollte nicht nachgeben. In diesem Augenblick verwünschte er sie, diese Frau, die nicht schnell genug starb, die ihm die Zuneigung seiner Eltern verdarb, so daß er, wenn er sie eifrig um sich beschäftigt sah, nicht mehr wußte, ob sie wirklich ihn retten wollten oder die Erbschaft, die sein Leben bedeutete.
    Aber auch Frau Vigneron trat auf die Seite ihres Gatten und sagte mit Ernst:
    »Wahrhaftig, Gustave, du tust mir sehr weh! Bitte deine Tante um Verzeihung, wenn du mich nicht ganz und gar erzürnen willst!«
    Da gab er nach. Warum auch kämpfen? War es nicht besser, daß seine Eltern das Geld erhielten? Würde er nicht sowieso sterben, wenn auch später, da dies die Verhältnisse seiner Familie in Ordnung brachte? Er wußte das, er begriff alles, selbst wenn man nicht davon sprach. Die Krankheit hatte sein Gehör derart geschärft, daß er selbst die Gedanken hörte.
    »Tante!« stammelte er, »ich bitte Sie um Verzeihung dafür, daß ich mich vorhin so unliebenswürdig gegen Sie benommen habe.«
    Aber zwei große Tränen rollten aus seinen Augen, während er mit der Miene eines weichen, oft mißbrauchten Menschen, der viel erlebt hat, lächelte. Sogleich umarmte ihn Frau Chaise und sagte ihm, daß sie nicht erzürnt wäre. Daraufhin entfaltete sich die Lebensfreude der Vignerons in aller Gutmütigkeit.
    »Wenn die Nieren auch nicht gut sind«, sagte Herr von Guersaint zu Pierre, »so gibt es doch wenigstens schmackhaften Blumenkohl.«
    Im Saal dauerte das furchtbare Kauen fort. Noch nie hatte Pierre so essen sehen, in einem solchen Schweiß, einem so erstickend heißen Gasthaus. Der Speisengeruch verdichtete sich gleichsam zu Rauch. Um sich zu verstehen, mußte man schreien, denn alle diese Gäste plauderten sehr laut, und die bestürzten Kellner räumten das Tischgerät im Fluge ab. Den jungen Priester verletzte die außerordentlich gemischte Gesellschaft an der Tafel, an der sich Männer, Frauen, junge Mädchen und Geistliche drängten, wie sie sich auf gut Glück zusammenfanden, und die ihren Heißhunger stillten gleich einer losgelassenen Meute, die in Eile die Bissen aufschnappt. Die Brotkörbe gingen herum und leerten sich. Dann entstand eine Metzelei in kaltem Fleisch, lauter

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