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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Frühstück der Reihe nach herumgehen, um bei der Hitze, unter dem Lärm der Kinnladen und unter wachsendem Ekel mit Heißhunger verschlungen zu werden.
    »Ach, Verzeihung!« sagte Pierre, der ein frisches Taschentuch holen wollte. »Ich muß noch einmal hinaufgehen.«
    Als er oben an der Tür seines Zimmers ankam, hörte er in dem tiefen Schweigen, in dem die Treppe und die verlassenen Gänge dalagen, ein leises Geräusch. Es war ein zärtliches Lachen im benachbarten Zimmer. Dann kam unfaßbar, mehr geahnt als tatsächlich gehört, der Hauch eines Kusses, das Beben von Lippen, die sich auf andere Lippen preßten, um sie zum Schweigen zu bringen.
    Auch dieser Herr nahm sein Frühstück ein.

II
    Pierre und Herr von Guersaint schritten draußen langsam dahin mitten in der unaufhörlich wachsenden Flut der sonntäglich gekleideten Menge. Der Himmel war von einem leuchtenden Blau, die Sonne setzte die ganze Stadt in Flammen, und in der Luft lag eine festliche Fröhlichkeit, jene lebhafte Freude, die auf großen Jahrmärkten herrscht, die das Leben eines ganzen Volkes ins volle Licht setzen. Als sie die mit Menschen überfüllte Avenue de la Grotte hinuntergegangen waren, sahen sie sich an der Ecke des Plateau de la Merlasse aufgehalten, derart staute sich dort das Gewühl unter dem Stampfen der Pferde und dem Gerassel der den Weg versperrenden Wagen.
    »Wir brauchen nicht zu eilen«, sagte Herr von Guersaint. »Meine Absicht ist, zur Place du Marcadal in der alten Stadt hinaufzusteigen. Denn das Mädchen im Hotel hat mir gesagt, dort droben wohne ein Barbier, dessen Bruder um billigen Preis Wagen vermietet. Macht es Ihnen nichts aus, mitzugehen?«
    »Mir!« rief Pierre, »o nein, ich begleite Sie, wohin Sie wollen!«
    »Gut! Und bei dieser Gelegenheit werde ich mich gleich rasieren lassen.«
    Sie gelangten auf die Place du Rosaire und vor die Rasenplätze, die sich bis zum Gave ausdehnen, als eine Begegnung sie von neuem aufhielt. Frau Desagneaux und Raymonde von Jonquière befanden sich dort und plauderten lustig mit Gérard von Peyrelongue. Alle beide trugen helle Kleider, und ihre weißseidenen Sonnenschirme blinkten im hellen Sonnenschein.
    »Nein, nein!« wiederholte Frau Desagneaux, »wir können Ihrem »Kasino« nicht einen Besuch abstatten, im Augenblick, da alle Ihre Kameraden beim Essen sind.«
    Gérard beharrte auf seiner Bitte und wandte sich sehr artig hauptsächlich an Raymonde, deren etwas volles Gesicht heute von einem strahlenden Reiz der Gesundheit erhellt wurde.
    »Aber ich versichere Sie, es ist sehr merkwürdig zu sehen. Man wird Sie vortrefflich empfangen, gnädiges Fräulein! Sie dürfen sich mir anvertrauen. Übrigens werden wir dort gewiß Herrn Berthaud finden, der entzückt sein wird, Sie zu empfangen.«
    Raymonde lächelte, und ihre hellen Augen sagten, daß sie wohl möchte. Da näherten sich Pierre und Herr von Guersaint, um die Damen zu begrüßen. Sie wurden sogleich in Kenntnis gesetzt von dem, was man vorhatte. Das »Kasino« nannte man eine Art Restaurant, eine Speiseanstalt, die die Mitglieder von Notre-Dame de Salut, die Sänftenträger, die Pfleger der Grotte, der Weiher und Spitäler gegründet hatten, um gemeinschaftlich und billig zu essen. Da viele von ihnen nicht reich waren – die Pflegerschaft war aus Leuten aus allen Klassen zusammengesetzt –, waren sie übereingekommen, drei gute Mahlzeiten zu halten, indem jeder drei Frank für den Tag bezahlte. Es blieben ihnen sogar noch Speisen übrig, die sie an die Armen verteilten. Aber sie verwalteten alles selbst, kauften die Vorräte ein, stellten einen Koch und Kellner an und scheuten nicht vor der Notwendigkeit zurück, in Person mitzuhelfen, um das Lokal instand zu halten.
    »Das muß sehr interessant sein!« rief Herr von Guersaint aus. »Vorwärts, das wollen wir sehen, wenn wir nicht zu viele sind.«
    Daraufhin gab auch die kleine Frau Desagneaux ihre Zustimmung.
    Wenn wir alle zusammen hingehen, bin ich ganz damit einverstanden. Ich fürchtete nur, es schickt sich nicht.«
    Und weil sie lachte, fingen alle zu lachen an. Sie hatte den Arm des Herrn von Guersaint genommen, während Pierre links von ihr ging, von Sympathie für diese lustige kleine Frau ergriffen, die so lebhaft und reizend war mit ihren zerzausten blonden Haaren und ihrem milchweißen Teint.
    Hinter ihnen kam Raymonde am Arm Gérards, den sie mit ernsthafter Stimme als ein sehr gescheites Mädchen, das das Aussehen der sorglosen Jugend hatte, unterhielt.

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