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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Jahre alt war.«
    Pierre und Herr von Guersaint näherten sich, während Majesté rief:
    »Bernadette, ganz richtig! Sie sah ganz genau aus wie Appoline, nur stand sie ihr in vielem nach, war auch traurig und arm.«
    Endlich erschien der Kellner und meldete, er habe einen kleinen Tisch frei. Zweimal hatte Herr von Guersaint vergeblich einen Blick in den Speisesaal geworfen, denn er brannte vor Begierde zu frühstücken und an diesem schönen Sonntag hinauszukommen. Deshalb beeilte er sich, ohne länger auf Majesté zu hören, der mit liebenswürdigem Lächeln die Bemerkung machte, die Herren hätten nicht allzu lange warten müssen. Der kleine Tisch befand sich im Hintergrund des Saales, den sie von einem Ende zum andern durchschreiten mußten.
    Es war ein langer, mit gelber Ölfarbe ausgemalter Saal, dessen mit Flecken beschmutzte Malereien sich jedoch bereits abschuppten. Man spürte darin die rasche Abnützung und die Verunreinigung durch das fortwährende, schnelle Zusammenströmen hungriger, sich zu Tische setzender Esser. Der ganze Luxus bestand in einer Pendeluhr aus vergoldetem Zink, die zwischen zwei ähnlichen Leuchtern auf dem Kamin stand. Vorhänge aus Spitzen, die mit gedrehter Seide übersponnen waren, hingen an den fünf, auf die Straße und ins volle Sonnenlicht hinausgehenden Fenstern. Die Rollvorhänge waren herabgezogen, ließen aber trotzdem brennende Sonnenstrahlen eindringen. In der Mitte waren vierzig Personen an der gemeinsamen Tafel zusammengedrängt, die nur für dreißig Platz bot, während an den kleinen Tischen rechts und links den Wänden entlang weitere vierzig Personen sich zwängten, die bei jedem Vorübergehen der drei Kellner angestoßen wurden. Gleich beim Eintritt wurde man von einem außerordentlichen Getöse betäubt, von einem Gewirr von Stimmen und einem Geklapper von Gabeln und Tischgeräten. Es schien, als ob man in einen feuchten Ofen eindränge, ein heißer Brodem mit erstickendem Speisegeruch schlug den Eintretenden ins Gesicht.
    Pierre konnte anfänglich nichts unterscheiden. Aber als er sich an dem kleinen Tisch zurechtgesetzt hatte, einem Gartentisch, den man der Umstände wegen in den Saal stellte und auf dem die zwei Gedecke kaum Platz hatten, da wurde er betrübt, sogar ein wenig verwirrt durch das Schauspiel, das die Table d'hôte bot, und das er mit einem Blick umfaßte. Schon seit einer Stunde wurde dort gegessen, zwei Abteilungen von Gästen hatten nacheinander gespeist, die Gedecke befanden sich in wilder Unordnung, Flecken von Wein und Bratenbrühe besudelten das Tischtuch. Vor allem jedoch setzte die lärmende Menge der Gäste in Erstaunen, übermäßig dicke Priester, junge, hagere Mädchen, von Leibesfülle überfließende Mütter, ganz rot aussehende, einzelstehende Herren und ganze Familien, in denen Generationen von bemitleidenswerter und ausgesprochener Häßlichkeit vertreten waren. Alle diese Leute schwitzten, aßen gierig und saßen, mit zusammengepreßten Armen und unbeholfenen Händen. Und in dieser durch die Ermüdung verzehnfachten Eßlust, in dieser Hast, sich vollzufüllen, um schneller zur Grotte zurückkehren zu können, saß in der Mitte des Tisches ein wohlbeleibter Geistlicher, der sich nicht beeilte und von allem mit einer weisen Langsamkeit, mit ununterbrochen und bedächtig zermalmenden Kauwerkzeugen aß.
    »Donnerwetter!« sagte Herr von Guersaint, »es ist nicht kalt hier! Trotzdem esse ich gerne etwas, denn ich weiß nicht, seitdem ich in Lourdes bin, spüre ich fortwährend riesigen Appetit. Und Sie? Haben Sie nicht auch Hunger?«
    »O ja, ich esse auch etwas«, antwortete Pierre.
    Die Mahlzeit war reichhaltig: Lachs, Eierkuchen, Koteletts mit Kartoffelbrei, geschmorte Nieren, Blumenkohl, kaltes Fleisch und Aprikosentorte. Alles war zu stark gekocht und unschmackhaft wie aufgewärmte Überbleibsel. Aber in den Kompottschalen lagen ziemlich schöne Früchte, vornehmlich Pfirsiche. Übrigens schienen die Tischgäste nicht anspruchsvoll zu sein und weder Geschmack zu entwickeln, noch Ekel zu empfinden. Ein reizendes, sehr hübsches junges Mädchen mit schönen Augen und seidenglänzender Haut, die zwischen einen alten Priester und einen sehr schmutzigen, bärtigen Herrn eingezwängt saß, verzehrte mit entzückter Miene die Nieren, die in grauem Wasser, das ihnen als Tunke diente, blaß und bleich herumschwammen.
    »Wirklich!« begann Herr von Guersaint wieder, »der Lachs ist nicht schlecht. Nehmen Sie doch ein wenig Salz dazu, das

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