Lourdes
wissen nicht, wohin wir den Kopf wenden sollen. Wahrhaftig, es ist nicht meine Schuld, wenn man Sie ein wenig warten läßt.«
In diesem Augenblick kam der Briefträger mit einem beträchtlichen Stoß Postsachen, einem Paket Zeitungen und Briefen an, die er im Büro auf den Tisch legte. Einen Brief behielt er in der Hand und fragte:
»Wohnt eine Frau Maze hier?«
»Frau Maze, Frau Maze?« wiederholte der Hotelbesitzer; »nein, nein, gewiß nicht.«
Pierre hatte zugehört, er trat näher und sagte:
»Es ist eine Frau Maze hier, sie muß bei den Schwestern der Unbefleckten Empfängnis abgestiegen sein, bei den blauen Schwestern, wie man sie hier nennt.«
Der Briefträger dankte und ging fort. Aber auf den Lippen Majestés war ein bitteres Lächeln aufgestiegen.
»Die blauen Schwestern«, flüsterte er, »ja, ja, die blauen Schwestern –«
Er warf einen Blick auf Pierres Soutane, dann hielt er aus Furcht, zuviel zu sagen, inne. Aber sein Herz floß über, und er hätte sich erleichtern mögen. Auch konnte dieser junge Pariser Priester, der das Ansehen hatte, offenen Gemüts zu sein, nicht zu der »Rotte« gehören, wie er alle jene nannte, die in der Grotte Dienste leisteten und aus Unserer Lieben Frau von Lourdes Geld schlugen. Nach und nach wagte er sich mit der Sprache heraus.
»Herr Abbé!« begann er, »ich schwöre Ihnen, daß ich ein guter Christ bin. Übrigens sind wir das hier alle. Und ich übe meine Religion aus, ich halte meine Ostern. Aber wahrhaftig, das muß ich doch sagen, Nonnen sollten keinen Gasthof haben. Nein, nein, das tut nicht gut.«
Und er ließ seinen ganzen Groll als Geschäftsmann, der durch einen unredlichen Wettbewerb geschädigt wird, freien Lauf. Hätten sich diese Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis, diese blauen Schwestern, nicht an ihre wahre Aufgabe halten sollen, an die Bereitung der Hostien sowie die Instandhaltung und Bleiche der geweihten Wäsche? Aber nein! Sie hatten ihr Kloster in einen weitläufigen Gasthof umgewandelt, in dem einzelne Damen abgesonderte Zimmer fanden und gemeinsam speisten oder sich auch besonders servieren ließen. Alles war sehr reinlich, sehr gut eingerichtet und dank den tausend Vorteilen, die sie genossen, nicht teuer. Kein Gasthof in Lourdes hatte so viel zu tun.
Kurz, ist es schicklich, daß Nonnen sich damit befassen, Suppe zu verkaufen? Hierzu kommt noch, daß die Oberin eine herrische Frau ist, die, als sie das Vermögen zufließen sah, es für ihr Haus allein wollte. Sie hat sich entschlossen von den Patres der Grotte getrennt, die sich bemühten, die Hand darauf zu legen. Ja, Herr Abbé, sie ist bis nach Rom gegangen und hat den Prozeß gewonnen. Jetzt steckt sie alles Geld allein in die Tasche! Nonnen! Mein Gott, Nonnen, die möblierte Zimmer vermieten und ein Hotel führen!«
Er hob die Arme zum Himmel empor und schien vor Ärger zu ersticken.
»Aber«, wandte Pierre endlich ruhig ein, »da doch Ihr Haus bis zum Überfluß mit Gästen angefüllt ist und Sie weder ein freies Bett noch einen Teller übrig haben, wo wollten Sie denn die Reisenden unterbringen, wenn noch welche zu Ihnen kämen?«
Majesté fuhr lebhaft auf.
»Ach, Herr Abbé! Man sieht, daß Sie das Land nicht kennen. Während der nationalen Pilgerfahrt machen wir alle ein Geschäft. Das ist wahr, und wir haben uns nicht zu beklagen. Das dauert aber nur vier oder fünf Tage, und zu gewöhnlichen Zeiten ist der Zulauf viel weniger stark. Oh, was mich betrifft, ich bin, Gott sei Dank, stets zufrieden! Das Haus ist bekannt, es steht im nämlichen Rang wie das Hotel de la Grotte, mit dem schon zwei Vermögen erworben wurden. Aber gleichviel, es ist doch ärgerlich zu sehen, wie diese blauen Schwestern die beste Kundschaft an sich ziehen und uns die Frauen aus den besseren Kreisen wegnehmen, die vierzehn Tage und drei Wochen in Lourdes zubringen. Und das in ruhigen Zeiten, wenn es nicht viel Gäste gibt! Sie verstehen, nicht wahr? Jene wohlhabenden Leute nehmen sie uns weg, die den Lärm verabscheuen, die ganz allein und ganze Tage lang bei der Grotte beten wollen, und die gut bezahlen, ohne jemals zu handeln!«
Frau Majesté, die von Pierre und Herrn von Guersaint nicht bemerkt worden war, da sie über ein Buch gebeugt saß, in dem sie Rechnungen zusammenzählte, sprach nun mit ihrer scharfen Stimme dazwischen:
»Das letzte Jahr, meine Herren, hatten wir während zweier Monate eine solche Dame als Gast. Sie ging zur Grotte, kehrte zurück, ging wieder hin,
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