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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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mit auf dem Bauch gefalteten Händen fortsetzte. Auch andere Dinge interessierten ihn noch: die Blumensträuße zu Füßen der Jungfrau, die dorthin geworfenen Briefe und die feinen Spitzen aus Wachs, die oben um die Flamme der dicken Kerzen herum stehenblieben und sie gleich einer reichen Goldschmiedarbeit aus durchbrochenem Silber umgaben. Er dachte scheinbar ohne jeden Zusammenhang über seine Kinderzeit nach, und die Gestalt seines Bruders Guillaume stellte sich sehr bestimmt vor sein geistiges Auge. Seit ihrer Mutter Tod hatte er ihn nicht wieder gesehen. Er wußte nur, daß er sehr abgeschieden lebte und sich in dem kleinen Haus, in das er sich mit einer Geliebten und zwei großen Hunden gleichsam wie in ein Kloster eingeschlossen hatte, mit der Wissenschaft beschäftigte. Er hätte nichts mehr von ihm gehört, wenn er nicht unlängst seinen Namen anläßlich eines revolutionären Attentats in einer Zeitung gelesen hätte. Man sagte, er gebe sich mit Studien über Sprengstoffe ab und pflege Umgang mit den Häuptern der fortgeschrittensten Parteien. Warum erschien er ihm also an diesem Ort der Ekstase inmitten des mystischen Lichts der Kerzen, wie er ihn ehemals gekannt hatte, als zärtlicher Bruder, der sich liebevoll gegen alle Leiden empörte? Voll schmerzlichen Bedauerns über diese verlorene innige Bruderliebe wurde er durch die Erinnerung einen Augenblick in Anspruch genommen. Dann kam er wiederum ohne Übergang auf sich selbst zurück. Er begriff, daß der Glaube nicht wiederkehren würde, wenn er sich dies auch starrsinnig in den Kopf setzen wollte. Nichtsdestoweniger fühlte er trotzdem eine Art Leben bei der letzten Hoffnung in sich aufsteigen, dem Gedanken nämlich, daß er ohne Zweifel glauben würde, wenn die Heilige Jungfrau das große Wunder der Heilung Mariens tun sollte. Damit gab er sich gleichsam eine letzte Frist, als ob er für den nämlichen Tag um vier Uhr abends, wenn das heilige Sakrament, wie sie gesagt hatte, vorüberziehen würde, ein Stelldichein mit dem Glauben verabredet hätte. Auf der Stelle wich seine Beängstigung, er blieb auf den Knien liegen, von Ermüdung gebrochen und von einer unbesieglichen Schlafsucht überfallen.
    Pierre sah nach und nach den Glanz der Kapelle erbleichen. Er staunte darüber und wurde unter gelindem Frostschauer völlig wach: der Tag brach an bei trübem, mit Wolken bedeckten Himmel. Er merkte, daß eines jener in Gebirgsländern so plötzlich auftretenden Gewitter rasch von Süden her aufstieg. Schon rollte der Donner in der Ferne, während Windstöße durch die Straßen fegten. Vielleicht hatte auch er geschlafen, denn er fand den Baron Suire nicht mehr, obwohl er sich nicht an sein Fortgehen erinnern konnte. Es blieben keine fünfzehn Personen vor der Grotte zurück, und unter ihnen erkannte er wiederum Frau Maze, die das Gesicht in den Händen verbarg. Als sie jedoch bemerkte, daß es heller Tag wurde und daß man sie sah, erhob sie sich und verschwand auf dem engen Fußpfad, der zum Kloster der blauen Schwestern hinunterführte. Unruhig sagte Pierre, zu Marie, daß sie nicht länger dableiben dürfe, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, durchnäßt zu werden.
    »Ich werde Sie ins Hospital zurückführen.«
    Sie lehnte dies ab und bat ihn dringend: »Nein, nein! Ich erwarte die Messe, da ich versprochen habe, hier zu kommunizieren ... Haben Sie keine Sorge um mich, sondern gehen Sie schnell in Ihren Gasthof zurück und legen Sie sich schlafen, ich bitte Sie darum. Sie wissen ja, daß, wenn es regnet, geschlossene Wagen hierherkommen und die Kranken holen.«
    Sie blieb dabei, während er wiederholt versicherte, daß er sich nicht zu Bett legen wolle. In der Tat wurde am frühen Morgen eine Messe in der Grotte gelesen, und es war für die Pilger eine göttliche Freude, dort nach einer langen Nacht der Verzückung im Glorienschein der aufgehenden Sonne kommunizieren zu können. Und als eben große Tropfen zu fallen begannen, erschien ein Priester im Meßgewand. Er war von zwei Klerikern begleitet, von denen einer, um den Kelch zu schützen, einen weit ausgespannten Regenschirm aus weißer, goldgestickter Seide über dem Geistlichen hielt.
    Pierre hatte den Wagen an das Gitter geschoben, um Marie unter dem Wetterdach der Grotte, wohin sich die wenigen. Anwesenden ebenfalls geflüchtet hatten, vor dem Regen zu bewahren. Soeben sah er, wie das junge Mädchen die Hostie mit glühender Inbrunst empfing, als seine Aufmerksamkeit durch ein jammervolles

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