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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wissenschaft, den Gottesleugner und Materialisten, den der Schmerz niedergeschmettert hatte und der jetzt glaubte, daß er in einem andern Leben seine teuren Toten wiedersehen werde. Das Herz hatte die Vernunft besiegt: der alte, alleinstehende Mann lebte nur noch von der Illusion, im Paradies aufs neue zu leben. Dadurch wurde das Unbehagen des jungen Priesters vermehrt. Sollte er denn warten, bis er alt wurde, und ein gleiches Leid erdulden, um endlich eine Zuflucht im Glauben zu finden?
    Sie setzten ihren Weg fort und entfernten sich von der Stadt längs des Gave. Sie wurden gleichsam eingewiegt von diesem klaren Wasser, das zwischen hohen, mit Bäumen bepflanzten Ufern über Kiesel dahinrollte. Und während sie im gleichen Schritt, jeder in seine unendliche Traurigkeit verloren, die öde Straße entlang gingen, schwiegen sie noch immer.
    Da fragte Pierre auf einmal:
    »Haben Sie Bernadette gekannt?«
    Der Doktor erhob den Kopf.
    »Bernadette ... Ja, ja! Ich habe sie einmal gesehen, in späterer Zeit.«
    Einen Augenblick fiel er zurück in sein Schweigen, dann erzählte er:
    »Sie begreifen, im Jahre 1858, zur Zeit der Erscheinungen, war ich dreißig Jahre alt. Ich befand mich als junger Arzt in Paris, war ein Feind alles Übernatürlichen und dachte kaum daran, nach meinen Bergen zurückzukommen, um eine Halluzinierte zu sehen. Aber fünf oder sechs Jahre später, um 1864 herum, bin ich hierhergegangen und war neugierig genug, um Bernadette, die noch im Hospiz bei den Schwestern von Nevers war, einen Besuch abzustatten.«
    Pierre erinnerte sich, daß der Wunsch, seine Untersuchung über Bernadette zu vervollständigen, eine von den Ursachen seiner Reise nach Lourdes gewesen war. Wer wußte, ob ihm die Gnade nicht durch dieses demütige und verehrungswürdige Mädchen zuteil wurde, sobald er die Überzeugung von der Sendung von Gottes Gnaden besaß, die sie auf Erden erfüllt hatte? Vielleicht genügte es ihm, sie besser zu kennen, um sich zu überzeugen, daß sie trotzdem eine Heilige und Auserwählte war.
    »Erzählen Sie mir von ihr, ich bitte Sie darum. Sagen Sie mir alles, was Sie wissen!«
    Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Doktors. Er begriff und wünschte diese vom Zweifel gequälte Priesterseele zu beruhigen.
    Deshalb antwortete er:
    »Mit Vergnügen. Ich wäre so glücklich, wenn ich beitragen könnte, daß es Licht wird in Ihnen! Sie haben recht, Bernadette zu lieben, das kann Sie retten. Denn ich habe seit jenem Ereignisse viel über Bernadette nachgedacht und erkläre heute, daß ich niemals ein so aufrichtiges und liebliches Geschöpf getroffen habe.«
    Im langsamen Rhythmus ihres Ganges auf der schönen, vom Sonnenlicht überstrahlten Straße und in der köstlichen Frische des Morgens schilderte der Doktor seinen Besuch bei Bernadette im Jahre 1864. Sie war gerade zwanzig Jahre alt geworden und schon vor sechs Jahren hatten sich die Erscheinungen ereignet. Sie überraschte den Doktor durch ihre einfache, vernünftige Miene und durch ihre große Bescheidenheit. Die Schwestern von Nevers hatten sie lesen gelehrt und behielten sie bei sich im Hospiz, um sie der öffentlichen Neugierde zu entziehen. Sie beschäftigte sich dort und half den Schwestern. Übrigens war sie so oft krank, daß sie wochenlang im Bett bleiben mußte. Am meisten bezauberten ihn ihre wunderschönen, unbefangenen und freimütigen Augen voll kindlicher Reinheit. Das übrige Gesicht war ein wenig verdorben, die Gesichtsfarbe trübte sich, die Züge waren gröber geworden. Dem Ansehen nach war sie nur ein Dienstmädchen wie die anderen, klein, unscheinbar und schmächtig. Ihre Frömmigkeit war groß, aber sie hatte ihm nicht die ekstatische Schwärmerin geschienen, für die man sie hätte halten können. Im Gegenteil zeigte sie einen mehr praktischen Geist ohne jeden Aufschwung, da sie stets eine kleine Arbeit, ein Strickzeug oder eine Stickerei in der Hand hatte. Mit einem Wort, sie ging den allgemeinen Weg und glich in nichts den großen, leidenschaftlichen Verehrern Christi. Sie hatte niemals wieder Visionen gehabt, und aus eigenem Antrieb sprach sie auch niemals von den achtzehn Erscheinungen, die über ihr Leben entscheiden sollten. Man mußte sie ausforschen und ihr eine bestimmte Frage stellen. Sie antwortete kurz und trachtete, die Unterredung abzubrechen, da sie es nicht liebte, von diesen Dingen zu sprechen. Wenn man sie weiter drängen wollte, indem man sie über die Natur der drei Geheimnisse befragte, die ihr

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