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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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um sie zu berühren, man holte ihren Rat über Krankheiten ein, man bemühte sich, den Einfluß zu erkaufen, den sie auf die Heilige Jungfrau ausüben mußte. Große Summen wurden ihr angeboten. Beim geringsten Zeichen, und wenn sie den Wunsch zu erkennen gegeben hätte, eine mit Edelsteinen geschmückte, mit goldener Krone gekrönte Königin zu werden, hätte man ihr königliche Geschenke dargebracht. Die Demütigen blieben auf ihrer Schwelle liegen, die Großen der Erde drängten sich in ihre Umgebung und hätten eine Ehre dareingesetzt, ihr als Gefolge zu dienen. Man erzählte sogar, einer von ihnen, der schönste und reichste Fürst, sei an einem hellen Apriltage gekommen, um sie zur Frau zu begehren.
    »Aber«, unterbrach ihn Pierre, »was mich stets befremdet hat und was mir mißfiel, war ihre Abreise von Lourdes im Alter von zweiundzwanzig Jahren und ihr plötzliches Verschwinden, ihre Einkerkerung im Kloster von Saint-Gildard zu Nevers, aus dem sie nie mehr herauskam. Gab das den Gerüchten, die über ihren Wahnsinn fälschlich im Umlauf waren, keine Handhabe? Setzte man sich bei ihrer Einschließung nicht der Vermutung aus, daß man sie verschwinden ließ aus Furcht vor einer Indiskretion, die sie begehen könnte, vor einem naiven Wort, das das Geheimnis eines Betruges preisgegeben hätte? Und ich selbst will das brutale Wort aussprechen: ich will Ihnen gestehen, daß auch ich glaube, man hat sie absichtlich so eingesperrt!«
    Doktor Chassaigne schüttelte den Kopf mit sanfter Mißbilligung.
    »Nein, nein«, sagte er, »in dieser ganzen Angelegenheit gab es niemals eine im voraus abgekartete Geschichte und kein im Finstern verfaßtes großes Schaustück, das von mehr oder weniger eingeweihten Schauspielern aufgeführt wurde. Die Dinge haben sich aus sich selbst, durch die Kraft der Tatsachen allein entwickelt, aber sie waren stets sehr verworren. So ist es sicher, daß Bernadette zuerst den Wunsch ausgesprochen hat, Lourdes zu verlassen. Die fortwährenden Besuche ermüdeten sie, sie fühlte sich unbehaglich. Sie wünschte sich nur einen schattigen Winkel, in dem sie in Ruhe leben konnte, und in ihrer Uneigennützigkeit erwies sie sich zuweilen so streng, daß sie das Geld wegwarf, welches man ihr zu dem frommen Zweck übergeben hatte, eine Messe lesen oder einfach eine Kerze anzünden zu lassen. Niemals nahm sie etwas an, weder für sich noch für ihre Familie, die arm geblieben ist. Man begreift sehr wohl, daß sie bei einem solchen Stolz und einer so einfachen Natürlichkeit sich sehnte, den Leuten aus den Augen zu kommen, daß sie verschwinden und sich in einem Kloster verbergen wollte, um sich auf einen guten Tod vorzubereiten. Ihr Werk war getan. Sie hatte diese außerordentliche Bewegung in Schwung gebracht, fast ohne das Warum oder das Wie zu kennen. Und nun war sie wahrhaftig zu nichts mehr nütze, andere leiteten das Geschäft und sicherten den Triumph der Grotte.«
    »Wir wollen annehmen, sie sei aus eigenem Antrieb abgereist«, sagte Pierre. »Aber welche Erleichterung mußte das für die Leute sein, von denen Sie eben sprechen, für die nämlich, die dann die einzigen Herren waren und die den Millionenregen auffingen, der aus der ganzen Welt niederfiel!«
    »Ach, gewiß ! Ich behaupte nicht, daß man sie zurückgehalten hat!« rief der Doktor. »Frei heraus gesagt, ich glaube sogar, daß man sie ein wenig dazu trieb! Sie wurde schließlich lästig, nicht dadurch, daß man fürchtete, sie könnte ärgerliche, vertrauliche Mitteilungen machen, aber bedenken Sie doch, daß man durchaus nicht Viel Staat mit ihr machen konnte, daß sie übertrieben scheu und sehr oft bettlägerig war. Und so wenig Platz sie in Lourdes auch einnahm und so gehorsam sie auch war, sie war dennoch eine Macht. Sie zog die Massen an und wurde dadurch selber zu einer Konkurrentin der Grotte. Damit die Grotte für sich allein blieb und in ihrer Glorie erstrahlte, war es gut, daß Bernadette verschwand und zu einer Legende wurde! Das waren ohne Zweifel die Gründe, die den Bischof von Tarbes, Monsignore Laurence, bestimmten, ihre Abreise zu beschleunigen. Man beging dabei nur das Unrecht, daß man sagte, es handle sich darum, sie den weltlichen Unternehmungen zu entreißen, als ob man sich gefürchtet hätte, sie könnte die Sünde der Hoffart begehen und sich der Eitelkeit überlassen, weil sie der Ruf der Heiligkeit umgab. Damit tat man ihr eine große Beschimpfung an, denn sie war des Hochmuts unfähig, wie sie unfähig war

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