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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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von Gott anvertraut worden waren, so schwieg sie und wandte die Augen fort. Unmöglich war es, sie in Widerspruch mit sich selbst zu setzen. Stets blieben die Einzelheiten, die sie gab, mit ihrer ersten Darstellung in Übereinstimmung. Sie schien dahin gekommen zu sein, die gleichen Worte im gleichen Tonfall zu wiederholen.
    »Ich hielt sie während eines ganzen Nachmittags fest«, fuhr der Doktor fort, »und niemals hat sie auch nur eine Silbe geändert. Es war, um aus der Fassung zu geraten. Ich schwöre gern, daß sie nicht log und daß sie niemals gelogen hat, aus dem Grunde, weil sie der Lüge unfähig war.«
    Pierre wagte zu widersprechen.
    »Aber, Doktor, halten Sie nicht eine Krankheit des Willens für möglich? Ist es heutzutage kein Erfahrungsgesetz, daß gewisse kindische weibliche Wesen sich keines Traumes, keiner Halluzination, keiner irgendwie gearteten Einbildung entschlagen können, namentlich wenn sie in der Umgebung festgehalten werden, in der das Phänomen sich zeigte? Die im Kloster eingesperrte, nur in ihrer fixen Idee lebende Bernadette setzte sich die Sache natürlich immer mehr in den Kopf.«
    Der Doktor lächelte aufs neue und sagte mit einer großen, unbestimmten Geste:
    »Ach, mein Kind! Sie fragen mich da zuviel! Sie wissen, daß ich nur noch ein armer, alter Mann bin, der auf seine Wissenschaft nicht stolz ist, der keinen Anspruch mehr erhebt, irgend etwas zu erklären. Ja, ich kenne das berüchtigte klinische Beispiel von dem jungen Mädchen, das bei ihren Eltern freiwillig verhungert wäre, weil es glaubte, es sei von einer schweren Magenkrankheit befallen, und das aß, als man es an einen andern Platz gebracht hatte. Aber was wollen Sie? Das ist nur eine einzige Tatsache, und es gibt so viele, die dagegen sprechen.« Sie schwiegen einen Augenblick, und man hörte auf der Straße nur das Geräusch ihrer Schritte. Dann fuhr der Doktor fort:
    »Übrigens ist es sehr wahr, daß Bernadette die Welt floh, da sie nur in ihrem kleinen, einsamen Winkel glücklich war. Niemals hatte sie eine vertraute Freundin oder eine besondere Anhänglichkeit an irgendeinen Menschen. Sie war gleich lieb und gut gegen alle, und nur für die Kinder zeigte sie eine lebhaftere Zuneigung. Und da der Arzt trotz alledem nicht vollständig in mir gestorben ist, so will ich Ihnen gestehen, daß ich mich manchmal damit abquälte, zu wissen, ob sie auch geistig eine Jungfrau geblieben war, wie sie es körperlich zuverlässig gewesen ist. Es ist das sehr möglich. Sie war von schwerfälligem und dürftigem Temperament und fast stets krank, ohne von der unschuldigen Umgebung zu sprechen, in der sie anfangs in Bartrès, dann im Kloster aufwuchs. Trotzdem stieg mir ein Zweifel auf, als ich von dem zärtlichen Interesse erfuhr, das sie dem Waisenhaus entgegenbrachte, das von den Schwestern Nevers auf der nämlichen Straße gebaut wurde. Man nimmt darin die armen kleinen Mädchen auf und rettet sie dort vor den Gefahren der Straße. Und wenn sie es recht groß wünschte, um alle gefährdeten Schafe darin aufnehmen zu können, geschah dies vielleicht nicht aus dem Grunde, weil sie sich erinnerte, selber mit nackten Füßen auf den Wegen herumgelaufen zu sein, und weil sie zitterte beim Gedanken, was aus ihr ohne die Hilfe der Heiligen Jungfrau hätte werden können?«
    Er fuhr fort und erzählte von den Volksmengen, die zusammenströmten, um Bernadette zu sehen und zu verehren. Es ging kein Tag vorüber, ohne daß sich eine Flut von Besuchern einstellte. Von allen Punkten Frankreichs, selbst vom Ausland kamen sie herbei. Es wurde dringend notwendig, die Neugierigen auszuschließen, und man ließ nur die wahren Gläubigen zu, die Mitglieder des Klerus und vornehme Leute, die man nicht vor der Tür stehen lassen konnte. Stets war eine Klosterfrau zugegen, um Bernadette vor allzu lebhaften Zudringlichkeiten zu schützen, denn die Fragen regneten auf sie herab, und man erschöpfte sie, indem man sie ihre Geschichte erzählen ließ. Hohe Damen warfen sich ihr zu Füßen, küßten ihr Kleid und hätten gern einen Fetzen davon als Reliquie mitnehmen mögen. Sie mußte ihren Rosenkranz verteidigen, denn alle baten sie schwärmerisch, ihn um teures Geld zu verkaufen. Eine Marquise wollte ihn dadurch erobern, daß sie ihr einen andern, von ihr mitgebrachten schenkte, der ein goldenes Kreuz hatte und dessen Körner aus Perlen bestanden. Viele hofften, sie würde vielleicht ein Wunder vor ihren Augen vollbringen. Man brachte ihr Kinder,

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