Lourdes
die Pilger in Prozession von der Stadt abziehen sehen, in die sie am gleichen Abend wieder zurückkehren mußten. Man hatte daher ein Zentrum, einen Punkt zur Wiederversammlung nötig, und er dachte an eine herrliche Kirche, an eine riesige Kathedrale, die ein ganzes Volk aufnehmen konnte. Mit seinem baulustigen Temperament und als leidenschaftlicher Arbeiter des Himmels sah er sie schon aus dem Boden aufsteigen und ihre vom Glockengeläut erdröhnenden Türme im hellen Sonnenlicht emporragen. Sie war auch das Haus, das er für sich selbst bauen wollte, der Tempel, dessen Oberpriester er sein wollte und in dem er mit der süßen Erinnerung an Bernadette triumphieren würde. Bei der großen Bitterkeit, die er über seine Absetzung empfand, entsprach diese neue Pfarrkirche natürlich einer kleinen Rache: sie war sein eigener Anteil am Ruhm, eine Art, seine streitbare Tätigkeit anzuwenden, und ein Zeichen des Fiebers, das ihn verzehrte, seitdem er sogar den Gang nach der Grotte aufgegeben hatte.
Im Anfang flackerte das Feuer der Begeisterung abermals auf. Die alte Stadt, die sich auf die Seite geschoben fühlte, machte mit ihrem Kuraten gemeinsame Sache, da sie fürchtete, daß alles Geld und alles Leben nach der neuen Stadt auswandern würde, die um die Basilika herum aus der Erde wuchs. Der Stadtrat genehmigte eine Summe von hunderttausend Franken, die aber wunderlicherweise erst bezahlt werden sollte, wenn die Kirche unter Dach und Fach wäre. Der Abbé Peyramale hatte schon die Pläne der Architekten angenommen. Dann hatte er mit einem Unternehmer aus Chartres verhandelt, der die Kirche in drei oder vier Jahren zu vollenden versprach, wenn die festgesetzten Zahlungen regelmäßig erfolgen würden. Da die Geschenke sicher und unaufhörlich von überallher eintrafen, so verpflichtete sich der Abbé ohne Sorge zu diesem bedeutenden Geschäft. Er war voll unbekümmerten Mutes und rechnete fest darauf, daß der Himmel ihn nicht mitten auf der Strecke im Stich lassen würde. Er glaubte sich sogar der Unterstützung des neuen Bischofs, Monsignore Jourdan, gewiß, der nach Einweihung des Grundsteins die Notwendigkeit und Verdienstlichkeit des neuen Werkes anerkannte. Pater Sempé schien sich in seiner gewohnten Demut gebeugt zu haben, indem er diese unheilvolle Konkurrenz, die ihn zum Teilen zwang, annahm, denn er gab sich den Anschein, als widme er sich vollständig der Verwaltung der Grotte. In der Basilika hatte er sogar einen Opferstock für die neu zu erbauende Pfarrkirche aufstellen lassen.
Dann begann der heimliche, wütende Kampf aufs neue. Der Abbé Peyramale war ein sehr schlechter Verwalter, er frohlockte, als er seine Kirche rasch größer werden sah. Die Arbeiten wurden schnell gefördert, und überzeugt, daß sie die Heilige Jungfrau bezahlen würde, war er sehr zufrieden damit. Welche Bestürzung ergriff ihn daher, als er schließlich bemerkte, daß die Almosen versiegten und daß kein Geld der Gläubigen mehr zu ihm kam, als ob jemand im verborgenen die Quelle abgeleitet hätte. Und da kam der Tag, an dem es ihm unmöglich war, die versprochenen Zahlungen zu leisten. Es hatte eine geschickte Erdrosselung stattgefunden, über die er sich erst später klar wurde. Der Pater Sempé mußte neuerdings die ausschließliche Gunst des Bischofs der Grotte zugewandt haben. Man erzählte sogar von vertraulichen Rundschreiben, die in die Bistümer abgeschickt wurden, damit keine Geldsendungen mehr an die Pfarrei abgingen. Die gefräßige Grotte, die unersättliche Grotte wollte alles und verzehrte alles. Die Dinge gingen so weit, daß Scheine zu fünfhundert Frank, die in den in der Basilika aufgestellten Opferstock geworfen worden waren, zurückbehalten wurden: man plünderte den Opferstock und bestahl die Pfarrei. Der Kurat jedoch setzte in seiner Leidenschaft für die heranwachsende Kirche, die seine Tochter war, diesen Feindseligkeiten einen heftigen Widerstand entgegen: er hätte sein Blut für sie hergegeben. Er hatte den Vertrag namens des Pfarreivermögens abgeschlossen. Als er dann nicht wußte, wie er bezahlen sollte, verhandelte er in seinem persönlichen Namen. Sein Leben beruhte nur noch auf der Kirche, er erschöpfte sich in heroischen Anstrengungen. Auf die versprochenen viermalhunderttausend Frank hatte er nur zweimalhunderttausend bezahlen können, und der Stadtrat blieb hartnäckig darauf bestehen, die genehmigten hunderttausend Frank nicht zu geben, bevor die Kirche unter Dach und Fach wäre.
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