Lourdes
verfaulten Pfahlzaun, der noch das weite, viereckige Gebiet zwischen der Saint-Pierre-, Baguères-, Langelle- und Jardinsstraße einschloß.
»Wir müssen uns links halten«, begann der Doktor wieder, der sich in einen engen, zwischen den Schutthaufen führenden Gang hineingewagt hatte. »Da sind wir jetzt.«
Plötzlich zeigte sich die Ruine mitten in ihrer häßlichen und armseligen Umgebung.
Das ganze mächtige Gerippe des Hauptschiffs und der Seitenschiffe, des Querflügels und der Chorwölbung stand vor ihnen. Die Mauern erhoben sich überall bis zum Beginn der Gewölbe. Man trat ein wie in eine wirkliche Kirche, konnte darin nach Belieben herumgehen und erkannte die gewöhnlichen Abteilungen eines Gotteshauses. Aber wenn man die Augen hob, dann sah man den Himmel: die Bedachung fehlte, der Regen fiel herein, und der Wind fegte frei darin herum. Bald waren es fünfzehn Jahre, seitdem die Arbeiten aufgegeben worden und die Dinge im gleichen Zustand geblieben waren, in dem sie der letzte Arbeiter verlassen hatte. Zunächst traten dem Beschauer die zehn Säulen des Schiffs und die vier Chorpfeiler entgegen. Man hatte diese herrlichen, je aus einem einzigen Block pyrenäischen Marmors gefertigten Säulen mit einem Brettermantel bekleidet, um sie gegen jede Beschädigung zu schützen. Die Säulenfüße und Kapitelle waren noch roh und harrten der Bildhauer. Diese mit Holz überkleideten Säulen riefen einen recht traurigen Eindruck hervor. Wie Schwermut stieg es auch von dem ganzen, ummauerten, weit offenstehenden Raum und vom Gras auf, das den wüsten, holperigen Boden der Seitenschiffe und des Hauptschiffs überwucherte, – ein dichtes Friedhofsgras, durch das die Frauen der Nachbarschaft mit der Zeit Fußpfade getreten hatten. Sie kamen hierher, um ihre nasse Wäsche auszubreiten. In den letzten, durch die leeren, breiten Fensterhöhlen einfallenden Sonnenstrahlen trocknete gerade eine aus dicken Tüchern, zerfetzten Hemden und Kinderwindeln bestehende Armenwäsche.
Ohne zu sprechen, machten Pierre und Doktor Chassaigne einen langsamen Rundgang um das Innere der Kirche. Die zehn Kapellen der Seitenschiffe bildeten Abteilungen voller Schutt und Trümmer. Den Boden des Chors hatte man zementiert, ohne Zweifel um die darunterliegende Krypta vor dem Eindringen des Wassers zu schützen. Leider aber senkten sich die Gewölbe, es hatte sich da eine Vertiefung gebildet, die das Gewitter der vorigen Nacht in einen kleinen See verwandelt hatte. Im übrigen hatten diese Teile des Querschiffs und des Chors am wenigsten gelitten. Nicht ein Stein war von seiner Stelle gewichen, die großen Rosetten über dem Triforium schienen auf ihre Glasfenster zu warten. Aber als sie wieder zurückgegangen waren und ins Freie hinaustraten, um die Fassade zu betrachten, da zeigte sich erst der klägliche Verfall dieser jungen Ruine. Auf dieser Seite hatte man die Arbeiten viel weniger gefördert, nur die dreifache Vorhalle war ausgebaut. Fünfzehn Jahre der Vernachlässigung hatten jedoch den Winterstürmen genügt, um das Schnitzwerk, die kleinen Säulen und die Verzierungen anzufressen, eine wahrhaft seltsame Zerstörungsarbeit war da vor sich gegangen: es schien, als ob der stark angefressene Stein unter Tränen verfallen wäre. Das Herz krampfte sich beim Anblick dieser Zerstörung zusammen, die sich an dem Werk vergriff, noch bevor es vollendet war.
Sie gingen ins Schiff zurück, ergriffen von der schrecklichen Traurigkeit dieses Mordes. Das weite, wüste Grundstück im Innern war von den Trümmern der Baugerüste versperrt, die man halb verfault hatte abschlagen müssen. Man fürchtete, durch ihren Einsturz könnten Menschen erschlagen werden. Mitten im hohen Gras lagen überall Bretter, Gerüststangen und Bogen umher, alte Seile, die die Feuchtigkeit zerfraß. Auch das schmächtige Gestell einer Welle war vorhanden, das sich wie ein Balkenträger in die Höhe reckte. Schaufelstiele und Stücke von Schubkarren lagen noch zwischen vergessenen Materialien und Haufen grünlicher, mit Moosflecken bedeckter Ziegelsteine, auf denen Schlingpflanzen blühten. Unter den Brennesseln, die den Boden bedeckten, sah man stellenweise die Schienen der kleinen Eisenbahn, die man für die Materialzufuhr eingerichtet hatte. Ein dazu gehöriger Wagen ruhte umgestürzt in einem Winkel. Das traurigste unter all diesen der Vernichtung geweihten Dingen war aber die Lokomobile, die unter dem Dach des Schuppens, der ihr ein Obdach gewährte,
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