Lourdes
zurückgeblieben war. Seit fünfzehn Jahren stand sie dort, erkaltet, tot. Der Schuppen war schließlich über ihr eingefallen, breite Löcher ließen dem Regen einen Weg, um sie bei jedem Guß zu durchnässen. Ein Ende des die Welle in Bewegung setzenden Transmissionsriemens hing schlaff an ihr herab, gleich dem Faden einer Riesenspinne. Und auch ihre Stahl- und Kupferteile gingen unter Rost und Flechten zugrunde und waren mit im Laufe der Zeit entstandenen Gewächsen bedeckt. Gelbliche Flecken gaben ihr das Aussehen einer ganz alten Maschine, die mit Gras überwuchert und von vielen Wintern schlimm zugerichtet worden war. Diese tote, kalte Maschine mit ihrem erloschenen Herd unter ihrem stummen Dampfkessel war einst die Seele dieser Arbeiten, die davongeflogen war in der vergeblichen Erwartung des großmütigen und mildtätigen Herzens, das Heckenrosen und Brombeerbüsche durchbrechen sollte, um die Dornröschenkirche aus ihrem tiefen Ruinenschlaf zu wecken!
Endlich sprach Doktor Chassaigne wieder.
»Ach«, sagte er, »wenn man bedenkt, daß fünfzigtausend Frank gereicht hätten, um ein solches Unglück zu verhindern! Mit fünfzigtausend Frank konnte man eindecken, der Rohbau war gerettet, und man hätte Zeit genug gehabt, das Weitere abzuwarten. Aber sie wollten das Werk vernichten, wie sie den Menschen getötet hatten.«
Mit einer nach unten weisenden Gebärde bezeichnete er die Patres von der Grotte als die, von denen er sprach, die er aber zu nennen vermied.
»Und dabei heißt es, daß sie jährlich achtmalhunderttausend Frank einnehmen! Sie schicken Geschenke nach Rom, um mächtige Freundschaften zu unterhalten.«
Wider seinen Willen zog er gegen die Widersacher des Kuraten Peyramale abermals ins Feld. Die ganze Geschichte erfüllte ihn mit einem gerechten heiligen Zorn. Angesichts der kläglichen Ruine setzte er noch einmal die Tatsachen zusammen: der Kurat warf sich enthusiastisch auf den Bau seiner Kirche, stürzte sich in Schulden und ließ sich bestehlen, während der Pater Sempé auf der Lauer stand, aus jedem seiner Fehler Vorteil zog, ihn beim Bischof in Mißkredit brachte, endlich den Strom der Almosen unterband und dann die Arbeiten einstellen ließ. Nach dem Tode des Besiegten kamen die endlosen Prozesse, fünfzehn Prozeßjahre, die dem schlechten Wetter Zeit gelassen hatten, das Werk anzufressen. Jetzt befand es sich in einem so kläglichen Zustand und die Schuld war zu einer so bedeutenden Höhe gestiegen, daß nun alles aus zu sein schien. Der langsame Tod, die Vernichtung der Steine vollendete sich, die vom Regen zerschlagene, vom Moos angefressene Lokomobile fiel unter ihrem eingestürzten Schuppen bald in Trümmer.
»Ich weiß wohl, sie triumphieren jetzt, denn nur sie allein sind noch da. Das wünschten sie so sehnlich, die absoluten Herren wollten sie sein und alle Macht und alles Geld für sich allein behalten. Ich kann Ihnen sagen, daß ihr Schrecken vor einer Konkurrenz sie sogar dazu getrieben hat, die religiösen Orden von Lourdes fernzuhalten, die sich hier niederzulassen beabsichtigten. Jesuiten, Dominikaner, Benediktiner, Kapuziner und Karmeliter haben darum angehalten, aber den Patres von der Grotte ist es stets gelungen, sie fernzuhalten. Sie dulden nur die Frauenorden, sie wollen nur eine Herde. Und ihnen gehört auch die Stadt, sie unterhalten Läden darin und treiben Handel mit Gott im großen und kleinen.«
Langsam war er zwischen den Schutthaufen in die Mitte des Hauptschiffs zurückgekehrt. Nun zeigte er mit einer großen Gebärde auf ihre verwüstete Umgebung.
»Betrachten Sie dieses traurige, schreckliche Elend! Die Rosenkranzkirche und die Basilika da drüben haben mehr als drei Millionen gekostet.«
Wie in dem schwarzen, kalten Zimmer der Bernadette, sah Pierre auch hier die in ihrem Triumph erstrahlende Basilika sich erheben. Nicht hier hatte sich der Traum des Abbé Peyramale verwirklicht, nicht hier, wo er als amtierender Priester das kniende Volk segnen wollte, während die dröhnende Orgel ein Freudenlied anstimmte. Vor seinem geistigen Auge stieg die Basilika auf, in der alle Glocken läuteten, die von dem Ausbruch übermenschlicher Freude über ein Wunder erdröhnte, und die ganz in Flammen loderte – die Basilika mit ihren Fahnen und Lampen, ihren goldenen und silbernen Herzen, mit ihrem in Gold gekleideten Klerus und ihrer einem goldenen Gestirn ähnlichen Monstranz. Wie in Glut getaucht leuchtete sie in der untergehenden Sonne und berührte mit ihrer
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