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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nur stets ein Volk von Arbeitern auf den Baugerüsten fand. Und er sah seine Kirche wachsen, im Geiste sah er sie schon fertig gebaut, wie sie ganz neu dastand und an einem schönen Sommermorgen im Licht der aufgehenden Sonne glänzte.
    Ach, diese unablässig heraufbeschworene Vision gab ihm allein den Mut zum Kampf inmitten des heimlichen Mords, von dem er sich umgeben fühlte. Vor seinem geistigen Auge erhob sich endlich die den weiten Platz beherrschende Kirche in riesiger Majestät. Er hatte sie in romanischem Stil sehr groß, aber einfach, neunzig Meter lang und hundertundvierzig Meter hoch, gewünscht. Am Abend vorher hatte man sie von den letzten Gerüsten befreit, und nun glänzte sie in ihrer Jugendfrische, mit ihren breiten regelmäßig aufgebauten Steinschichten im hellen Sonnenlicht. Die Dächer des Schiffs, des Querschiffs und des Chors befanden sich in gleicher Höhe über dem Gesims, das mit einfachen Verzierungen ausgeschmückt war. Ebenso wiesen die Fensteröffnungen der Seitenschiffe und des Hauptschiffs keinen andern Schmuck auf als von Pfeilern getragene Skulpturen. Im Geiste stand er still vor den großen Glasfenstern des Querschiffs, deren Rosetten funkelten, dann setzte er seinen Rundgang fort, hinter der runden Chorwölbung vorbei, an die die Sakristei mit zwei Reihen kleiner Fenster angebaut war. Er kam zurück und konnte sich nicht satt sehen an der königlichen Gliederung des Baues, den erhabenen Linien, die sich am blauen Himmel abzeichneten, den übereinander geschichteten Dächern und dieser ganzen ungeheuren Masse, deren Festigkeit den Jahrhunderten Trotz bot. Wenn er aber die Augen schloß, dann beschwor er mit stolzem Entzücken die Fassade und den Glockenturm herauf: unten die dreifache Halle, die beiden Hallen rechts und links mit ihren eine Terrasse bildenden Dächern, während der aus der mittleren Halle herauswachsende Glockenturm sich mit mächtigem Schwung in die Lüfte erhob. Auch da trugen die auf Sockeln ruhenden Säulen nur verzierte Gesimse. Auf der Spitze einer Zinne zwischen den zwei hohen Fensteröffnungen des ersten Stockwerks stand unter einem Baldachin die Statue Unserer Lieben Frau von Lourdes. Und es schien dem Abbé, als sei seine glühende Priesterseele gewachsen, es schien ihm, als habe sie sich emporgeschwungen, um dort oben ganz nahe bei Gott durch alle Zeitalter hindurch Zeugnis von seinem Glauben abzulegen.
    Zu anderen Zeiten war er von einer andern Vision noch stärker entzückt. Er glaubte dann das Innere seiner Kirche an dem Tage zu sehen, da er seine erste feierliche Messe darin zelebrieren würde. Die farbigen Glasfenster warfen feurige Lichter, die wie Edelsteine glänzten, die zwölf Kapellen der Seitenschiffe strahlten im Kerzenglanz. Er selber stand am marmornen, mit Gold verzierten Hochaltar. Die vierzehn Säulen des Schiffs, jede aus einem einzigen Block pyrenäischen Marmors und alles herrliche Geschenke aus allen Weltgegenden der Christenheit, schwangen sich in die Höhe und stützten das Gewölbe, das die dröhnenden Stimmen der Orgel mit einem Freudengesang erfüllten. Ein Volk von Gläubigen kniete auf den Fliesen vor dem Chor, das ein mit bewundernswerter Holzschnitzerei bedecktes Gitter umgab. Die Kanzel, das königliche Geschenk einer hohen Dame, war ein aus einem ganzen Eichenstamm herausgemeißeltes Wunder der Kunst. Den Taufstein hatte ein Künstler von großem Talent in harten Stein gehauen. Meisterhafte Gemälde schmückten die Wände, Hostienkelche, kostbare Monstranzen und glänzende heilige Gewänder waren in der Tiefe der Sakristeischränke aufgehäuft. Welch herrlicher Traum war es, Hohepriester eines solchen Tempels zu sein, darin zu herrschen, nachdem man ihn mit leidenschaftlicher Begeisterung erbaut hatte, und die aus der ganzen Welt herbeigeeilten Volksmassen zu segnen, während das volltönende Geläute des Glockenturms der Grotte und der Basilika verkünden würden, daß sie unten im alten Lourdes eine Nebenbuhlerin und sieghafte Schwester besaßen, in der Gott ebenfalls seine Triumphe feierte!
    Nachdem sie einen Augenblick der Rue Saint-Pierre gefolgt waren, bogen der Doktor Chassaigne und sein Begleiter in die kleine Rue de Langelle ein.
    »Wir sind gleich dort«, sagte der Doktor.
    Pierre schaute sich um, sah aber nichts von einer Kirche. Man sah nur elende Hütten, die ein mit schmutzigen Bauwerken angefülltes, armseliges Vorstadtviertel darstellten. Ferner bemerkte er im Hintergrunde einer Sackgasse einen alten, halb

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