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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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er gehörte sicher dem Mann, denn sie hatte etwas fallen hören, während sie ihm mit einem Schwamm die Stirn abwusch. Sie wandte den Schlüssel um, sie betrachtete ihn. Immer wieder blickte sie auf diesen von nun an unnützen Schlüssel, der niemals mehr das unbekannte Schlüsselloch, das da irgendwo auf der weiten Welt lag, öffnen würde.
    Einen Augenblick wollte sie in einer Art Mitleid dieses kleine geheimnisvolle Stückchen Eisen in die Tasche stecken, denn es war ja alles, was von dem Manne blieb. Dann kam ihr aber der fromme Gedanke, man dürfe an nichts auf dieser Erde sein Herz hängen, und so warf sie den Schlüssel durch das halb herabgelassene Fenster in die dunkle Nacht hinaus.
    »Sophie, Sie dürfen nicht mehr spielen, Sie müssen schlafen«, fuhr sie fort. »Nun aber, liebe Kinder, Ruhe, Ruhe!«
    Erst nach dem kurzen Aufenthalt in Bordeaux, gegen halb zwölf Uhr, kehrte der Schlummer wieder und bemächtigte sich des ganzen Wagens. Frau von Jonquière hatte nicht länger widerstehen können. Sie hielt den Kopf gegen das Holz der Scheidewand gelehnt, und ihr Gesicht zeigte in ihrer Müdigkeit einen glücklichen Ausdruck. Die Sabathiers schliefen ebenfalls, ohne einen Atemzug, während auch in dem andern Abteil, das Sophie Couteau und Elise Rouquet innehatten, jedes Geräusch verstummte. Von Zeit zu Zeit erhob sich eine dumpfe Klage, ein erstickter Schrei des Schmerzes oder der Furcht. Er entschlüpfte den Lippen der Frau Vincent, die eingeschlafen war und von bösen Träumen gequält wurde. Nur Schwester Hyacinthe blieb mit weit geöffneten Augen wach. Sie war sehr besorgt um den Zustand der Grivotte, die jetzt unbeweglich, gleichsam wie tot, in beständigem Röcheln, mit Anstrengung atmete. Von einem Ende bis zum andern dieses beweglichen Schlafsaals, der durch das Beben des mit Volldampf dahinsausenden Zuges erschüttert wurde, überließen sich die Pilger und Kranken der Ruhe. Glieder hingen hernieder, Köpfe rollten hin und her unter dem bleichen, tanzenden Lichte der Lampe. Im Hintergrunde, im Abteil der zehn Pilgerinnen, gab es ein bejammernswertes Durcheinander armer, häßlicher Gesichter, der Alten und Jungen, die der Schlaf am Ende eines Lobgesangs mit offenem Munde gelähmt zu haben schien. Und ein großes Mitleid mit diesen traurigen, müden Leuten, die, von fünftägigen wahnsinnigen Hoffnungen und unendlichen Verzückungen vernichtet, am nächsten Tage zur harten Wirklichkeit des Lebens wieder erwachen sollten, stieg empor.
    Pierre fühlte sich mit Marie so gut wie allein. Sie hatte sich nicht auf der Bank ausstrecken wollen und meinte, sie hätte in sieben Jahren allzu lange gelegen. Er hatte sich neben sie gesetzt, um es Herrn von Guersaint bequemer zu machen, der seit Bordeaux wieder in seinen tiefen Kindesschlummer verfallen war. Die Helligkeit der Lampe war ihr unangenehm, er zog die Kappe vor, und sie befanden sich im Schatten, einem durchsichtigen, unendlich süßen Schatten. In diesem Augenblick mußte der Zug wohl durch die Ebene rollen. Wie in einem endlosen Fluge, in einem ungeheuren und regelmäßigen Flügelrauschen glitt er durch die Nacht dahin. Durch das Fenster, das sie herabgelassen hatten, drang eine köstliche Frische aus den schwarzen Feldern, aus den unergründlichen Feldern, in denen nicht einmal mehr das kleine, verlorene Licht eines Dörfchens leuchtete. Einen Augenblick hatte er sich zu ihr gewandt und gesehen, daß sie die Augen geschlossen hielt. Aber er erriet, daß sie nicht schlief, sondern die tiefe Ruhe inmitten des donnergleichen Gerassels auf dieser Flucht durch die Schatten auskostete. Und wie sie schloß auch er die Augen und träumte lange Zeit.
    Noch einmal erstand vor ihm die Vergangenheit, das kleine Häuschen in Neuilly, der Kuß, den sie hinter der blühenden Hecke unter den von der Sonne gestreiften Bäumen getauscht hatten. Wie fern das schon lag, und welchen Duft sein ganzes Leben davon bewahrt hatte!
    Dann kam ihm die Bitterkeit des Tages in den Sinn, an dem er Priester geworden war. Nie sollte sie Frau sein, und er hatte eingewilligt, kein Mann mehr zu sein. Das aber würde ihr ewiges Unglück werden, da die ironische Natur wieder eine Gattin und eine Mutter aus ihr machte. Hätte er noch den Glauben bewahrt, er hätte darin den ewigen Trost gefunden. Aber vergeblich hatte er alles versucht, um ihn wiederzuerlangen: seine Reise nach Lourdes, seine Anstrengungen vor der Grotte, seine Hoffnung für einen Augenblick, er werde schließlich

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