Lourdes
raschen Arbeit des neuen Fleisches zusehen, das das Loch zufüllte. Die Witwe Fromond, deren Lippe zur Hälfte vom Krebs zerfressen war, brauchte die kranke Stelle nur abzuwaschen, und es blieb nicht einmal eine leise Röte zurück. Marie Moreau, die entsetzlich an Brustkrebs litt, legte sich zum Schlafen nieder, nachdem sie sich in ein mit Wasser von Lourdes getränktes Tuch eingewickelt hatte, und als sie zwei Stunden später wieder erwachte, hatten die Schmerzen aufgehört, und das Fleisch war fest und von rosiger Frische.
Dann fing Schwester Hyacinthe von den Heilungen der Schwindsucht zu erzählen an. Das setzte allem die Krone auf. Die schreckliche Krankheit, die die Menschen verheert und die, wie die Ungläubigen behaupteten, die Heilige Jungfrau nicht heilen könne, wurde dennoch von ihr geheilt durch eine einzige Bewegung ihres kleinen Fingers. Hundert Fälle, der eine immer außergewöhnlicher als der andere, folgten rasch aufeinander. Die seit drei Jahren schwindsüchtige Marguerite Coupel, an deren Lungenspitzen die Tuberkeln fraßen, steht auf und geht fort, strotzend vor Gesundheit. Frau de la Rivière, die Blut speit, und deren Nägel schon bläuliche Farbe angenommen haben, so daß man glaubte, sie stehe auf dem Punkte, ihren letzten Seufzer auszuhauchen, hat nur nötig, einen kleinen Löffel voll Wasser zu trinken. Das Todesröcheln hört auf, sie richtet sich empor, antwortet auf die Litaneien und verlangt eine Bouillon. Bei Julie Jadot waren vier Löffel nötig. Aber sie hielt schon ihren Kopf nicht mehr aufrecht und war von so zarter Konstitution, daß die Krankheit sie ganz aufzulösen schien. In wenigen Tagen wurde sie gesund. Anna Catry, die die Schwindsucht im höchsten Grade hat – ihr linker Lungenflügel ist bereits zur Hälfte zerstört –, wird fünfmal in das kalte Wasser getaucht, ganz gegen jede Vernunft. Sie ist geheilt, die Lunge ist gesund. Eine andere, ein schwindsüchtiges junges Mädchen, von fünfzehn Ärzten aufgegeben, hat gar nichts weiter getan, als daß sie in der Grotte niederkniete, ganz zufällig, und war auf das freudigste überrascht, so im Vorbeigehen, durch einen glücklichen Zufall geheilt worden zu sein. Sie war ohne Zweifel gerade zu der Stunde gekommen, da die Heilige Jungfrau, von Mitleid ergriffen, das Wunder aus ihren unsichtbaren Händen herabgleiten läßt.
Und Wunder und immer neue Wunder folgten! Wie Traumesblumen regneten sie von einem klaren, milden Himmel hernieder. Es waren ergreifende dabei, aber auch kindische befanden sich darunter. Eine alte Frau, die eine steife Hand hatte und sie seit dreißig Jahren nicht rühren konnte, wusch sich und machte das Zeichen des Kreuzes. Die Schwester Sophie, die wie ein Hund bellte, taucht in den Quell und steigt heraus, mit klarer Stimme einen Choral singend. Mustapha, ein Türke, betet zu der weißen Frau und bekommt sein rechtes Auge wieder, nachdem er eine Kompresse aufgelegt hat. Ein Offizier der Turkos wurde bei Sedan beschützt, und ein Kürassier von Reichshofen wäre durch einen Schuß ins Herz getötet worden, wenn die Kugel, die sein Notizbuch durchbohrt hatte, nicht vor einem Bilde der Jungfrau von Lourdes steckengeblieben wäre. Und die Kinder, die armen, leidenden Kleinen, auch sie finden Gnade. Ein gelähmter kleiner Knabe von fünf Jahren wurde ausgezogen, fünf Minuten lang unter den kalten Strahl der Fontäne gehalten und konnte aufstehen und gehen. Ein anderer von fünfzehn Jahren, der in seinem Bette nur tierische Schreie ausstieß, sprang aus dem Weiher heraus mit dem Freudenrufe: »Ich bin geheilt!« Ein dritter, ein ganz kleiner Junge von zwei Jahren, der noch keinen Schritt gegangen war, blieb eine Viertelstunde in dem kalten Wasser und machte dann, vergnügt lächelnd, wie ein kleines Menschenkind die ersten Schritte. Bei allen, bei den Kleinen wie bei den Großen, waren die Schmerzen heftig, indes das Wunder wirkte. Aber welches Wohlbefinden folgte dann! Die Ärzte trauten ihren Augen nicht, ihr Erstaunen wuchs bei jeder Heilung, wenn sie ihren Kranken laufen, springen und mit einem wahren Heißhunger essen sahen. Alle diese Auserwählten, diese geheilten Frauen gingen kilometerweit, setzten sich dann zu Tisch vor ein junges Huhn und schliefen schließlich zwölf Stunden lang mit geballten Fäusten. Keine Rekonvaleszenz trat ein, es war ein plötzlicher Sprung aus dem Todeskampfe zur vollen Gesundheit. Die Glieder hatten sich neu gebildet, die Wunden geschlossen, alle Organe befanden
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