Lourdes
das Blaßrot der Malve und ein bleiches Grün, die sich in Rosenrot verloren.
Im Norden auf dem rechten Ufer des Gave, jenseits der Hügel, denen die Bahnlinie folgt, stiegen die bewaldeten Abhänge von Buala empor, vom Morgenlicht überflutet. Dort lag Bartrès. Weiter links erhob sich die vom Miramont beherrschte Talsperre des Julos. Andere, weit entfernte Gipfel zeigten sich wie leichter Dunst im Äther. Und auf der ersten ebenen Fläche jenseits des Gave lagen zahlreiche Klöster, die man da erbaut hatte und die den schönsten Punkt des Gesichtskreises bildeten. Sie schienen auf dieser Wundererde wie natürliche Pflanzen in die Höhe gewachsen zu sein. Da war zuerst ein von den Schwestern von Nevers gegründetes Waisenhaus, dessen weite Baulichkeiten in der Sonne schimmerten. Dann die Karmeliter gegenüber der Grotte, auf der Straße nach Pau. Weiter oben, am Rand des Weges von Poueyferré das Kloster von Mariä Himmelfahrt. Ferner das Kloster der Dominikanerinnen, das nur eine Seite seiner Dachbauten zeigte. Endlich die Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis, die man die Blauen Schwestern nannte und die ganz am Ende des kleinen Tales ein Zufluchtshaus gegründet hatten. Sie nahmen darin alleinstehende Damen in Pension, reiche Pilgerinnen, welche sich nach der Einsamkeit sehnten. Zu dieser Morgenstunde trugen alle Glocken der Klöster ihre Jubelstimmen in die kristallreine Luft hinaus, während vom entgegengesetzten Ende des Horizonts her, im Süden, die Glocken anderer Klöster ihnen mit dem nämlichen, silberstimmigen Freudenschall Antwort gaben. Besonders die Glocken der Klarissinnen beim Pont-Vieux streuten eine Skala von Tönen aus, daß man an das singende Geplauder eines Vogels hätte denken können. Auch auf dieser Seite der Stadt öffneten sich Täler, streckten Berge ihre nackten Flanken empor. Es war eine lächelnde Natur, eine wogende See von Hügeln, unter denen man die köstlich mit Karmin und zartem Blau gefärbten Hügel von Visens bemerkte.
Als aber Marie und Pierre ihre Augen gegen Westen wandten, standen sie geblendet. Das volle Sonnenlicht fiel auf den Großen und Kleinen Bêout. Es sah aus wie Purpur und Gold, es war ein strahlender Berg, an dem man nichts unterschied als den Weg, der sich unter Bäumen hinschlängelt und zum Kalvarienhügel emporsteigt. Und dort auf diesem von der Sonne überfluteten, wie ein Heiligenschein strahlenden Hintergrund erhoben sich die drei übereinander gebauten Kirchen, die die schwache Stimme der Bernadette zum Preis der Heiligen Jungfrau hatte aus dem Felsen erstehen lassen. Unten sah man zuerst die Rosenkranzkirche. Diese war zur Hälfte in den Felsen eingehauen. Sie lag im Hintergrund eines Vorplatzes, zu dem zwei breite Rampen emporführten, damit der Pomp der Prozessionen sich entfalten und der kleine Wagen eines kranken Kindes ohne Mühe zu Gott hinauffahren könne. Dahinter lag die Krypta, die unterirdische Kirche, von der man nur die niedrige Pforte sah. Darüber die Rosenkranzkirche, deren Bedachung aus Steinplatten bestand, und die mit ihren weiten Vorplätzen die Rampen verlängerte. Und schließlich schwang sich die weiße, im Stil eines zierlichen Geschmeides der Renaissance aus den Felsen von Massabielle erbaute und wie ein Gebet, wie der Aufflug einer reinen Taube hervorbrechende Basilika in die Höhe. Über den riesenhaften Rampen erschien die feine Turmspitze wie die kleine, aufrechte Flamme einer Kerze inmitten der endlosen, wogenden See von Tälern und Bergen. Neben dem massigen Grün des Kalvarienhügels erschien sie zerbrechlich und von der armseligen Treuherzigkeit des Kinderglaubens. Und darum dachte man bei ihrem Anblick auch an den kleinen weißen Arm, an die kleine, magere Hand eines kranken Mädchens, das in einer Krise seines irdischen Elends hinauf zum Himmel zeigt. Die Grotte sah man nicht. Hinter der Basilika stand in größerer Entfernung der bischöfliche Palast in der Mitte des bewaldeten Tales. Die drei Kirchen leuchteten in der Morgensonne, deren Strahlenregen auf die Landschaft niederfiel, während der klangvolle Schwung der Glocken das melodische Erwachen dieses schönen jungen Tages zu feiern schien.
Als Pierre und Marie die Place du Rosaire durchquerten, warfen sie einen Blick auf die Esplanade, ein Garten mit einem Rasenplatz in seiner Mitte, den zwei breite Alleen einsäumen, und der bis zur neuen Brücke geht. Dort befand sich die große gekrönte Bildsäule der Heiligen Jungfrau. Alle Kranken, die vor ihr
Weitere Kostenlose Bücher