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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schweren Schädel, der stets nach rückwärts fiel, aufrechtzuerhalten. Ein Mädchen zuckte ohne Unterbrechung mit allen Gliedern, während fratzenhafte Verzerrungen die linke Hälfte ihres Gesichtes in die Länge zogen. Dann kamen zu Skeletten abgemagerte Schwindsüchtige mit bleigrauer Haut, von der Farbe der Erde, in der sie bald schlafen sollten. Unter diesen befand sich eine, die ganz weiß war, aber Flammenaugen hatte. Ihr Gesicht sah aus wie ein Totenkopf, in dem eine Fackel angezündet worden war. Es folgten nacheinander verkrümmte Leiber, schief stehende Hälse, zerbrochene und zermalmte, zur Unbeweglichkeit verdammte Wesen. Arme rhachitische Mädchen stellten ihren wachsfarbigen Teint und ihren gebrechlichen, von Skrofeln angenagten Nacken zur Schau. Weiber mit gelbem Gesicht zeigten die schmerzhafte Betäubung jener Unglücklichen, deren Brüste der Krebs zerfrißt. Andere lagen da und richteten die traurigen Augen zum Himmel. Sie schienen das Zusammenstoßen der Geschwülste in ihren Leibern zu hören. Und fortwährend zogen neue Kranke vorüber, immer kamen schrecklichere. Eine folgte auf die andere, und jede trug zur Vermehrung des Schauders bei. Eine Blinde näherte sich, die den Kopf hoch und aufrecht trug. Ihr marmorblasses Gesicht zeigte zwei Höhlen mit entzündeten und blutigen Augen, zwei lebendige Wunden, aus denen Eiter rann. Eine alte, von Geistesschwäche betroffene Närrin, deren Nase von irgendeinem venerischen Geschwür weggefressen war, lachte. Dies Lachen mit dem leeren schwarzen Mund wirkte erschreckend. Eine Epileptische wälzte sich und schäumte auf ihrer Tragbahre, ohne daß deshalb der Krankenzug seinen Gang verlangsamte, der in dem Fieber leidenschaftlichen Verlangens, das ihn nach der Grotte trieb, sich fortbewegte.
    Die Träger, die Priester und selbst die Kranken stimmten ein Kirchenlied, den Trauergesang Bernadettes, an, und alles strebte weiter inmitten der bis zum Überdruß wiederholten Aves. Die kleinen Wagen, die Tragbahren, die Fußgänger stiegen die abhängige Straße herab wie ein angeschwollener, über die Ufer tretender Bach, der seine Wellen mit großem Geräusch dahinwälzt. An der Ecke der Straße Saint-Joseph, nahe beim Plateau de la Merlasse, blieb eine Familie von Ausflüglern, Leute, welche von Cauterets oder Bagnères kamen, tief erstaunt am Rand der Straße stehen. Es mußten reiche Leute sein. Die zwei erwachsenen Töchter trugen helle Kleider und hatten den fröhlichen Gesichtsausdruck glücklicher Menschen, die sich amüsieren. Aber auf die erste Überraschung der Gruppe folgte ein zunehmender Schrecken, als ob sie ein Siechenhaus für Aussätzige der alten Zeiten sich hätten öffnen sehen, eines jener legendenhaften Spitäler, das nach einer großen Epidemie geleert worden war. Die zwei Töchter erbleichten, Vater und Mutter standen erstarrt vor dem ununterbrochenen Zug von so viel Schauerlichem. Mein Gott! Gab es wirklich so viel Häßlichkeit, so viel Schmutz, so viel Leiden! War das möglich unter dieser schönen strahlenden Sonne, unter diesem Himmel voll Licht und Freude, zu dem die Frische des Gave emporstieg, dem der Morgenwind den reinen Geruch der Berge entgegentrug!
    Als Pierre an der Spitze des Krankenzuges auf das Plateau de la Merlasse vorrückte, wurde er gebadet von dieser leuchtenden Sonne, von dieser frischen, mit balsamischem Duft erfüllten Luft. Er wandte sich um und lächelte Marien liebreich zu, und als sie in der glänzenden Pracht des Morgens auf der Place du Rosaire ankamen, da waren sie beide entzückt von der bewunderungswürdigen Rundschau, die sich vor ihnen entrollte.
    Gegen Osten lag das alte Lourdes vor ihnen. Die Sonne erhob sich hinter den Bergen, und ihre Strahlen färbten die Felsen mit düsteren, lilafarbigen Streifen. In dem goldigen, fliegenden Staub sah man die Dächer der alten Stadt, während diesseits des Schlosses die neue Stadt unter Grün hervorlächelte, mit den weißen Fassaden ihrer Gasthöfe, Häuser und Kaufläden, eine reiche und geräuschvolle Stadt, die wie durch ein Wunder in wenigen Jahren in die Höhe geschossen war. Der Gave floß am Fuß des Felsens vorbei, und sein klares, blaugrünes Wasser glänzte im Sonnenlicht. Und als Hintergrund zu diesem köstlichen Gemälde mit seinen frischen Gewässern, diesem Grün, der verjüngten freundlichen Stadt erhoben sich der Kleine und der Große Gers, gewaltige Felsmassen mit kurzem Graswuchs bestanden, stets in den Himmel. Sie nahmen zarte Farben an,

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