Love Alice
Kunstwerk mit einem Löffel Ananasmarmelade. In der Wohnung ist es still, ich kann nur Mamas Lieblingswecker ticken hören. Dieser Wecker verfolgt uns überall. Er hat die Form von einem quietschgelben Küken und tickt so laut, dass man vom bloßen Zuhören schon nervös und hektisch wird.
Mit meinem Eisgericht in der Hand gehe ich in mein Zimmer, krümele mich auf mein Nest und schließe die Augen. Die Alkoholpfützen lassen das Eis schmelzen, der Geruch von Kaffeelikör schlägt mir entgegen. Ich stelle mir Cherry vor. Wie wir nebeneinander auf den Bus warten. Ich möchte mir auch vorstellen, wie ich mit ihr spreche, aber es funktioniert nicht. Selbst in meinem Kopf macht Cherry, was sie will.
Der Kürbisgeist
Am frühen Morgen gehe ich ohne Frühstück aus dem Haus. Mama hat verschlafen. Ich hatte ihren tickenden Wecker in ein Handtuch eingewickelt und ins Badezimmer verfrachtet. Anstatt mit mir zu schimpfen, hat sie mir eine prall gefüllte Einkaufstüte vor die Zimmertür gestellt. Winterklamotten, superbunt und zugegebenermaßen ziemlich lässig.
Zur Sporthalle müssen wir Mädchen durch die halbe Schule. Mit grummelndem Magen laufe ich den anderen nach, wir haben alle unsere Turnbeutel dabei. Die Jungs spielen draußen Fußball. Für mich ist es wie ein Trauermarsch, weil ich nichts Schlimmeres kenne als Sportunterricht. Eigentlich finde ich sogar, dass es verboten sein sollte, Menschen zu so etwas wie Sport zu zwingen. Es ist körperliche Belästigung, von der erhöhten Verletzungsgefahr mal abgesehen. Von Volleyball bekomme ich zittrige Hände und Blutergüsse auf den Unterarmen. Beim Völkerball habe ich den Ball einmal so heftig abbekommen, dass ich eine gefühlte Ewigkeit nicht einatmen konnte. Und ich bin immer die Allerletzte, die in eine Mannschaft gewählt wird. Die anderen spüren, wie widerwillig ich Sport mache.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto langsamer werde ich. Als wir an einer geöffneten Tür vorbeikommen, bleibe ich stehen. Es ist ein verwinkelter Raum mit einem kleinen Fenster, neben dem Biologiezimmer. An der Wand hocken verstaubte ausgestopfte Tiere in alten Vitrinen. Es riecht zwar nach Tabak und Kaffee, aber das Zimmer ist leer.
Unter dem Tisch entdecke ich einen Käfig. Neugierig betrete ich den Raum. Im Käfig sitzen drei Feldmäuse mit glänzendem Fell. Sie sind sehr süß, ich verliebe mich auf der Stelle in alle drei. Eine Feldmaus springt in ihr Laufrad, es quietscht. Genau so was wünsche ich mir, denke ich. Wenn ich bloß die Mäuse mit nach Hause nehmen könnte. Ich wüsste ganz genau, wo ich den Käfig hinstellen würde. Ganz bestimmt nicht unter einen Tisch an die Heizung.
»Wenn ich so was Süßes hätte …«, höre ich auf einmal Cherrys Stimme neben mir, »es würde alles viel mehr Sinn machen.«
Ich nicke und sehe sie an, aber Cherry fixiert die Mäuse im Käfig.
»Und mein Vater ist allergisch. Aus der Traum!«, sagt sie betrübt.
Bevor ich antworten kann, dreht Cherry sich um und läuft den anderen hinterher.
Nach dem Sport bin ich die Letzte, die aus den Umkleidekabinen kommt. Fast alle Mädchen aus meiner Klasse haben nasses Haar, weil sie es sexy finden, mit nassem Haar vor den Jungs herumzuhängen. Sie vergleichen ihre Shampoos und wie die Haare danach riechen. Ich beobachte Tuula und Nesrin, die verschwörerisch vor der Toilettentür tuscheln. Tuulas Shirt ist von ihren Haaren ganz nass, genau über ihrem Busen. Nesrin hat ihr orientalisches Prinzessinnenhaar zu einem losen Zopf gebunden, als sei es ihr egal, wie sie aussieht. Was es natürlich nicht ist.
Cherry hat mich die ganze Sportstunde ignoriert. Ich nehme mir vor, mich nicht länger darüber aufzuregen, aber es wurmt mich. Da Cherry ein Naturtalent ist, was den Sportunterricht angeht, frage ich mich, ob es nun meine Trägheit ist, die mich aus dem Kreis ihrer potentiellen Freundinnen herauskatapultiert hat. Sie stellt sich zu Tuula und Nesrin, unsere Blicke treffen sich und ich ziehe meine Mundwinkel ein wenig hoch. Cherry nickt zaghaft – und wendet sich wieder ab.
So oft, wie wir umziehen müssen, kommt es ständig vor, dass ich alleine bin. Mama bekam schon immer Komplimente für mich, weil ich bereits als kleines Kind in Restaurants stundenlang still sitzen und mich mit mir selbst beschäftigen konnte. Ohnehin finde ich es schwierig, mit vielen Mädchen gleichzeitig befreundet zu sein und immer dazwischenzuschreien, wenn drei oder vier miteinander reden. Ich finde es auch lästig,
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