Love and Disaster
sich sein Blick sofort. Er drückte den Kopf des Jungen an seine Brust, der Kleine lehnte sich an, umklammerte fest einen Stoffhund und weinte weiter.
Ich öffnete Jan die Tür, er kam heraus und sagte:
„Die kleine Heulboje hier ist Darius, er ist ziemlich erkältet und fühlt sich nicht gut, deshalb weint er.“
„Harro hat in seinem Büro ein Sofa“, antwortete ich pragmatisch. „Er übernachtet manchmal hier, wenn es spät wird. Es stört ihn sicher nicht, wenn du deinen Sohn dort ein wenig hinlegst.“
Ich ging voraus, fand ein paar Kissen und eine Decke im Garderobenschrank und richtete ein provisorisches Lager her. Dann setzte ich mich auf einen der Stühle und sah zu, wie Jan dem Kleinen, der zum Glück nur noch leise schluchzte, die Schuhe auszog, ihn behutsam auf die weichen Kissen legte und zudeckte. Dann setzte er sich auf die Sofakante und streichelte seinem Sohn beruhigend über den Rücken.
„Er ist todmüde, er hat kaum geschlafen letzte Nacht, eigentlich sollte er heute bei meiner Mutter bleiben, aber sie hatte einen dringenden Termin, der sich nicht verschieben ließ.“
„Deine Mutter wohnt in Berlin?“, fragte ich erstaunt.
„Meine Eltern leben schon sehr lange hier, sie haben ein Haus in Friedrichshagen.“
Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
„Friedrichshagen, ich fasse es nicht. Du bist da aufgewachsen?“
Er nickte und ich war platt vor Staunen.
„Ich wohne in Köpenick, meine Familie lebt da eigentlich schon immer. Wir waren also praktisch Nachbarn und sind uns in all den Jahren nie begegnet? Ist das verrückt!“
Jan antwortete nicht, er sah mich nur an, schließlich unterbrach ich den Blickkontakt und schaute auf Darius. Er war ein schönes Kind, er hatte dunkle Locken wie sein Vater, ähnelte ihm aber sonst kaum. Der Junge hatte sich beruhigt, er presste sein Stofftier an sich und langsam, aber sicher fielen ihm die Augen zu und er schlief ein.
„Wie alt ist dein Sohn?“, fragte ich.
„Im Oktober wird er vier“, antwortete Jan und Stolz schwang in seiner Stimme. „Er ist ein toller Junge, intelligent und aufgeweckt, seit einiger Zeit spricht er sogar deutsch. Wir leben die meiste Zeit in Polen, weißt du. Meine Frau Anja ist Polin. “
„Das war nicht zu überhören“, platzte es aus mir heraus, ich konnte wiedermal meine große Klappe nicht halten. „Tut mir leid, Jan, das hätte ich nicht sagen sollen.“
„Das muss es nicht. Anja kümmert sich um meine geschäftlichen Belange und das macht sie sehr gut. Sie ist sehr temperamentvoll“, sagte er und senkte den Blick. „Manchmal wird es selbst mir zuviel.“
„Der Fluch der Rothaarigen“, antwortete ich. „Ich weiß, wovon ich rede, meine Schwester ist rothaarig. Ich liebe sie, aber sie macht mich die meiste Zeit wahnsinnig.“
Wir lachten leise, um Darius nicht aufzuwecken.
„Ich möchte dich gern sehen“, sagte Jan unvermittelt. „Ich werde eine Weile in der Stadt sein und möchte Zeit mit dir verbringen.“
‚Nichts lieber als das’, hatte ich auf der Zunge, laut sagte ich allerdings:
„Das wäre nicht gut.“ Nein, das war es wirklich nicht, obwohl es mich fast zerriss, das zu sagen.
„Wieso nicht? Ich möchte dich ein wenig kennen lernen, Carolin, ist das zuviel verlangt? Ich will dich nicht schon wieder verlieren.“
„Ich kann nicht, Jan. Wir wissen beide, wie es enden würde.“
Er bohrte seine blauen Augen in meine, hielt meinen Blick fest.
„Ich weiß, was mit dir los ist“, sagte er ernst. „Mir geht es genauso. Seit vorhin spielt mein Kopf verrückt, ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich möchte am liebsten schreien vor Freude, dass ich dich endlich wiedergefunden habe, und ich könnte schreien vor Wut, weil ich es nicht darf.“
Ich beugte mich nach vorn und legte ihm eine Hand auf den Arm.
„Ja, genauso ist es und genau deshalb sollten wir vernünftig sein. Du hast eine Frau und einen wunderschönen Sohn, ich passe da mit Sicherheit nicht hinein.“
„Was ist mir dir, Caro? Hast du jemanden, bist du verheiratet?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich bin seit über einem Jahr geschieden, es gibt keinen Mann in meinem Leben.“
„Wirklich keinen?“, entgegnete er und lächelte sein umwerfendes Lächeln. Er nahm meine Hand und verflocht seine Finger mit meinen. Hitze durchströmte mich vom großen Zeh bis zu den Haarwurzeln, unglaublich, was dieser Mann für eine Wirkung auf mich hatte.
Im Ausstellungsraum wurde die Tür geöffnet, Harro und Anja kündigten sich laut diskutierend an.
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