Love is a Miracle
zwei. Bin früher zurückgeflogen, damit ich rechtzeitig zu seiner Geburtstagsparty komme und mir ein Stück Kuchen nehmen kann, wenn Gladysmal nicht hinschaut. Vierzig Jahre sind wir jetzt verheiratet und die Augen dieser Frau sind immer noch so scharf wie damals, als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin.«
Oh Gott. Carl war hergekommen, um mit seinem Enkel Geburtstag zu feiern und bei seiner Familie, bei Gladys zu sein. Er freute sich auf den Kuchen. Ich erinnerte mich an all das, konnte seine Stimme hören, seine Geschichte, und statt nach Hause zu kommen, war er …
Joe berührte meinen Arm. Ich zuckte zusammen, wich zurück und stand auf. »Ich …«
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nicht … ich weiß, du warst in Gedanken bei diesem Typen, von dem du gerade geredet hast. Aber ich … ich hab auch dran gedacht. Wie es am Ende für sie war, meine ich. Und ich glaube, es war … Ich glaube, es war okay für sie, weil der Tod nicht schlimm ist. Weil es nicht wehtut. Ich glaube, man ist einfach weg. Und sie wusste es ja nicht, oder?« Seine Stimme war ganz leise. Und hoffnungsvoll.
Dabei war es so falsch, was er sagte.
»Beth war nicht einfach weg«, sagte ich, und meine Stimme klang abgehackt und wütend, sodass ich sie selber kaum wiedererkannte. »Sie wusste, dass sie stirbt, und alle im Flugzeug wussten es, denn wenn man so stirbt, hat man Zeit genug, um alles voll mitzukriegen. Wie denn auch nicht? Man spürt doch, wie weh es tut, wie weh alles tut, und man hat Angst und ist allein …«
»Halt den Mund«, sagte er, stand jetzt auch auf und wich einen Schritt vor mir zurück. »Sie war nicht …Beth hat nicht … alle haben gesagt, dass sie nichts gespürt hat. Alle …« Er gab einen Laut von sich, der wie ein Keuchen klang, nur schärfer, rauer. »Und überhaupt, woher willst du das wissen? Du hast den Absturz überlebt, du bist weggegangen und hast alles hinter dir gelassen. Du weißt nicht, was mit ihnen passiert ist, wie sie …«
»Halt«, sagte ich, aber es kam nur ein schwaches Krächzen heraus, dann spürte ich, wie etwas in mir nachgab, und ich stolperte und sank in die Knie. Was, wenn … Wenn er nun recht hatte? Wenn da noch jemand war – wenn ich jemand gesehen hatte, der noch am Leben war, und ihn einfach im Stich gelassen hatte? War es so?
Ich legte mich hin und das Gras um mich herum verwandelte sich von Nachtbraun in flammendes Orangerot. Ich wollte weg, nur weg von den Flammen, aber ich konnte nirgends hin. Das Gras flackerte, kam näher, und ich sah, dass es gar kein Gras war. Der Boden war ein einziges Flammenmeer, das mit den Wrackteilen und der Erde verschmolz, und meine Füße waren nackt, in den Händen hielt ich geschmolzenes Gummi und wedelte damit herum, ließ es in der Luft kreisen und flappte mit den Armen wie ein Kind, das Fliegen übt. Ich kam nicht von den Flammen weg. Sie krochen immer näher und näher heran, wollten mich holen, und ich …
»Megan, was machst du da?« Joe starrte auf mich herunter, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Ich lag zusammengekrümmt auf dem Rasen, die Knie an dieBrust gezogen. Meine Arme waren ausgestreckt, zitternd, und wurden erst still, als ich die Dunkelheit um mich herum sah und das nasse, kalte Gras durch mein T-Shirt hindurch spürte.
»Ich … da war kein Gras, nur Feuer, und ich …« Ich klappte schnell den Mund zu, als er mich noch verständnisloser anstarrte, bis ihm plötzlich ein Licht aufging. Ich stand auf, biss mir mit aller Kraft in die Wange, damit ich nicht taumelte, nicht zusammenbrach, und wischte das Gras von mir ab, konzentrierte mich auf meine glitschigen Füße.
Als ich endlich den Blick zu ihm hob, schaute er mich an, und ich sah, dass seine Augen blau waren, ein seltsames Dunkelblau, sehr schön. Ich hatte immer gedacht, seine Augen seien braun. Zehn Jahre lang hatte ich Tür an Tür mit ihm gewohnt, und mein Herz hatte verrückt gespielt, wann immer er in der Nähe war, und ich war so verknallt in ihn gewesen, dass ich ihn gar nie richtig gesehen hatte.
Er hatte blaue Augen, in denen jetzt Tränen schimmerten.
»Tut mir leid wegen vorher«, sagte ich. »Ich meine, was ich über Beth gesagt habe. Ich … ich war nur wütend.«
»Aber du hast recht.« Joe schaute mich mit tränenfeuchten Augen an, und ich sah so viel Kummer und Verständnis darin, dass ich den Blick abwenden musste. »Sie … sie muss schreckliche Angst gehabt haben. Es hat ihr immer solche Angst gemacht, wenn sie einen
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