Love is a Miracle
hatte. Dad hörte zum Glück kaum hin, weil er sich Sorgen um David machte, der schon wieder eine Krankheit ausbrütete. Jess und ich blieben so lange auf, dass ihr Dad irgendwann gegen die Wand donnerte und uns anschnauzte, wir sollten gefälligst rausgehen und im Auto weiterquasseln, wenn wir immer noch nicht genug hätten.
Und das machten wir auch. Schleppten kichernd unsere Decken aus dem Haus und türmten sie im Auto um uns herum auf. Wir redeten, bis die Sonne aufging und uns endlich die Augen zufielen, und irgendwann wachten wir steif und übernächtigt wieder auf. Aber das war uns egal, wir machten uns fertig und fuhren mit offenen Fenstern zur Schule, sodass der Waldgeruch von den Bergen oben zu uns hereinwehte und der Wind uns ins Gesicht blies und uns vollends aufweckte.
Wir waren glücklich damals, ein Glück, das mir jetzt so simpel erschien, und doch völlig unerreichbar. Ich verlagerte meinen Sitz, dann rutschte ich auf die Beifahrerseite hinüber und schloss die Augen. Ich wollte mich in jenen Morgen zurückversetzen, als ich mit Jess zur Schule fuhr, ließ das Fenster einen Spaltbreit herunter und spürte, wie der Wind über meinen Kopf strich.
Na los, du spürst es doch, feuerte ich mich an. Du spürst es. Du bist glücklich. Du bist im Auto, es ist früher Morgen und der Wind weht, verfängt sich in deinem Haar, und du …
Kalt.
Mir ist kalt, ich zittere, und eine Frau steht vor mir. Sie sagt etwas. Ich sehe, wie ihr Mund sich bewegt. Schweiß steht auf ihrer Stirn, in dicken Tropfen. Ich bin so durstig, und auf mein Gesicht tropft Wasser, aber ich kann es irgendwie nicht trinken. Ich kann meine Arme nicht hochheben, um es wegzuwischen.
Die Frau nimmt mich am Arm und ihre Hand ist ganz heiß auf meiner Haut, verbrennt mich. Ich reiße mich los, immer noch schlotternd.
»Kindchen«, sagt sie. »Wo kommst du denn her, Kindchen? Ich bin gerade um die Ecke gebogen und hätte dich beinahe überfahren. Wo in aller Welt kommst du her?«
Ich will, dass sie den Mund hält. Ihre Stimme tut mir in den Ohren weh. Ich zeige hinter mich. Ich will nicht hinschauen.
Ich verstehe nicht, sagt sie.
Da, sage ich. Ich war da. Das Sprechen tut weh. Alles. Ich bin ein einziger Schmerz.
Die Frau redet jetzt wieder und sie ist so laut. Ich lege meine Hände über die Ohren. Ich höre sie trotzdem noch, höre sie sagen: »Hattest du einen Unfall? Ist dir was passiert? Hat dir jemand was getan?
Wie heißt du denn, Schätzchen?«
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin. Oder wer sie ist. Ich weiche zurück und sie folgt mir. Sie zwingt mich, die Hände von den Ohren zu nehmen.
»Hab keine Angst«, sagt sie. »Da drüben ist mein Auto. Siehst du es? Du bist jetzt in Sicherheit, Kindchen. Ich bin Joyce, und alles ist gut. So, jetzt setz dich dorthin. Ich schnall dich an, ja? So ist’s gut.«
Ein Fenster taucht vor mir auf. Und Bäume umzingeln mich, rücken immer näher, und ich bin so müde und durchgefroren, dass ich falle. Ich schwanke hin und her, gefangen auf meinem Sitz, und mein Blick verengt sich, bis ich nur noch schwarze und gelbe Pünktchen sehe, und es ist so warm hinter mir – so warm – und ich weiß, wenn ich mich umdrehe, dann sehe ich …
Ich muss hier weg. Ich will mich bewegen, kann aber nicht. Ich bin gefangen. Ich komme nicht frei. Ich kann nicht …
Ich wollte schreien, aber nur ein erstickter Laut drang aus meiner Kehle und ich zitterte. Der Schrei wollte nicht herauskommen, lag in mir gefangen, sodass ich kaum atmen konnte, und ich spürte, wie meine Brust sich zusammenschnürte. Ich vergrub das Gesicht in den Händen, rollte mich zu einer Kugel zusammen und drängte alle Bilder weg. Ich schluckte Luft und mein Herz hämmerte bis zum Hals.
Endlich hatte ich mich an etwas erinnert, aber ich wünschte, es wäre mir erspart geblieben.
Kapitel 20
Ich schluchzte, bis ich am ganzen Körper unkontrolliert zitterte und meine Brust krampfhaft auf- und abwogte. Wenn ich Luft holte, zog sich alles in mir zusammen, als ob ich mich gleich übergeben müsste.
Verzweifelt legte ich mir die Hände über die Ohren und bohrte meine Finger hinein, so fest, dass ich die Haut darunter aufkratzte. Es tat weh, und ich machte es immer wieder, bis mir die Augen tränten und mein Kopf klarer wurde, dann kroch ich auf den Fahrersitz zurück.
Ich wollte nicht nach Hause fahren – wollte überhaupt nicht fahren –, aber hier konnte ich auch nicht bleiben. Nicht mit … Ich dachte an die
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