Love Train
ein.
»Soll ich dir vielleicht ein Küsschen geben?«, bot Juli an.
»Ãh.« Ich wusste nicht genau, was ich von diesem Vorschlag halten sollte. Auch wenn ich meine Schwester neuerdings recht sympathisch fand, war ich nicht unbedingt scharf darauf, mich von ihr küssen zu lassen! Doch Juli kramte bereits in ihrer Riesenhandtasche und zog schlieÃlich ein Päckchen Pralinen heraus â Baci di Giulietta . Ich lachte wieder. »Danke, gern.«
Bis wir in Mailand ankamen, hatten wir die ganze Schachtel geleert.
»Oh, Shit!«, entfuhr es mir beim Blick auf meinen Kontostand.
Wir saÃen wieder an den Computern im Aufenthaltsraum der Jugendherberge, und ich wollte eigentlich nur online überprüfen, ob das Geld von meinen Eltern inzwischen angekommen war. Aber irgendwie schien es da Schwierigkeiten zu geben, denn die Ãberweisung war immer noch nicht eingegangen. Stattdessen hatte mein Mobilfunkanbieter die Rechnung für die letzten vier Wochen abgebucht. Handy, Busticket und Klamotten liefen direkt über mein eigenes Konto, weil meine Eltern der Meinung waren, ihre Töchter sollten auf diese Weise lernen, mit ihrem Geld umzugehen. Normalerweise kam ich auch immer damit aus. Doch in diesem Monat waren die Kosten fast doppelt so hoch wie sonst. Das Handy im Ausland so oft zu benutzen, war offenbar keine gute Idee gewesen! Shit! Auf jeden Fall hatte ich nur noch knapp 160 Euro auf meinem Girokonto. Minus die hundert, die ich in Monte Carlo im Casino setzen musste, machte das gerade genug Geld, um die Ãbernachtungen bis dahin zu bezahlen und mir eventuell noch ein trockenes Baguette zum Frühstück zu leisten.
»Was ist los?« Etwas verzögert reagierte Juli auf mein lautes Fluchen.
»Ebbe auf dem Konto«, erklärte ich säuerlich.
»Kenn ich.« Juli verzog den Mund. »Bei mir sieht es auch nicht gerade rosig aus.« Kein Wunder, dachte ich, immerhin hatte Juli in Paris noch mal einen längeren Einkaufstrip eingeschoben, bevor wir abgefahren waren, und schleppte ihre Barschaft inzwischen in Form von neuen Klamotten mit sich herum.
»Na, dann wollen wir mal hoffen, dass wir in Monte Carlo reich werden«, sagte ich schicksalsergeben.
»Oder einen Millionär aufreiÃen«, steuerte Juli bei.
»Ich fürchte, Ersteres ist wahrscheinlicher«, unkte ich.
»Schau mal«, wechselte Juli unvermittelt das Thema. »Was hältst du davon?« Meine Schwester deutete auf den Rechner vor sich, und ich registrierte erstaunt, dass sie ein bisschen unsicher klang. Neugierig lehnte ich mich zu ihr herüber. Was wollte Juli mir zeigen? Meine Geldsorgen waren für den Moment erst einmal vergessen.
Das Erste, was mich von der Seite auf Julis Bildschirm geradezu ansprang, war mein eigenes Gesicht. Die Augen waren geschlossen, ich schlief, und um meinen Mund lag ein leichtes Lächeln, so als würde ich etwas Wunderschönes träumen. Es war keine schlechte Aufnahme, auch wenn ich mich auf Fotos eigentlich nicht mag, aber ich war völlig verblüfft, es auf dem Computer zu sehen.
»Wo hast du das her?«
»Hab ich im Zug nach Mailand gemacht, als du so tief geschlafen hast.« Juli zeigte auf ihr Smartphone, und, ja, sie wirkte definitiv unsicher!
»Und was macht das Foto auf dieser Internetseite?« Ich war viel zu erstaunt, um wütend zu sein.
»Sieh doch mal genauer hin«, antwortete Juli nur, also unterzog ich die Seite einer erneuten Betrachtung. Das Foto von mir war in Form einer Wolke zugeschnitten und stand mittig zwischen zwei anderen Wolken, in denen Ausschnitte von Bildern zu sehen waren, die Juli auf unserer Reise geknipst haben musste: eine Steinstatue auf dem Père-Lachaise , die ebenfalls wirkte, als würde sie schlafen, und ein Bild der Juliafigur, die verträumt ins Nichts blickte. Juli hatte alle Bilder in Sepia eingefärbt, und den Hintergrund bildete ein verschnörkeltes Barockmuster in Beige, das perfekt damit harmonierte. Es sah wirklich toll aus. In geschwungener Schrift stand darunter: Dreamgirl . Und als kleinere Unterzeile: Das echte Leben einer Träumerin.
»Was ist das?« Ich begriff noch immer nicht.
Juli deutete auf die Adresszeile der Internetseite: dreamgirlblog.de . »Das ist dein neuer Blog«, sagte sie, und es klang, als stünde am Ende ihres Satzes ein Fragezeichen.
»Mein Blog?«
»Ja ⦠ich dachte ⦠vielleicht hast du ja Lust ⦠ich
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