Love Train
bezahlen, aber du kannst bei mir wohnen. Bessere Einblicke in die Welt der Mode als in Mailand bekommst du nirgendwo.«
Juli war so perplex, dass es ein paar Sekunden dauerte, bis sie ihre Sprache wiederfand, und das ist bei meiner Schwester wirklich eine Seltenheit. »Ãh, danke â¦Â«, stotterte sie dann. »Ich werde es mir überlegen.« Wieder musste ich grinsen. Sofia schob eine Hand in die Tasche ihrer weiten Hose und nestelte ein Kärtchen heraus, das sie Juli überreichte. »Meld dich mal bei mir, wenn du Lust hast. Vielleicht können wir ja zusammen an deinen Ideen, diesen süÃen Reisekleidern, weiterarbeiten.«
Wir verabschiedeten uns bald von Sofia, die, wie sie sagte, noch schrecklich viel in ihrem Laden zu tun hatte, und als wir den Innenhof hinter uns lieÃen, raunte Juli mir zu: »Die ist ja total durchgeknallt.« Aber sie strahlte dabei über das ganze Gesicht.
»Kann schon sein«, gab ich zurück. »Aber sie hat einen guten Modegeschmack.«
Gibt es eine Liebesgeschichte, die romantischer ist als die von Romeo und Julia? Ich denke nicht. Zumindest ist es für mich die romantischste Geschichte von allen. Natürlich endet sie tragisch. Julia tot. Romeo tot. Doch die Liebe der beiden? Bleibt für immer lebendig!
Ich glaube, ich habe sämtliche Verfilmungen gesehen, die es von dem Drama gibt, die mit Leonardo DiCaprio allein drei Mal (damals war er ja noch richtig schnuckelig, inzwischen ist er so alt, dass sich keine Julia mehr nach ihm umdrehen würde). Aber das Beste ist immer noch das Stück von Shakespeare selbst: »Der Liebe leichte Schwingen trugen mich, kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren â¦Â« Hach!
Kein Wunder, dass Hunderttausende Fans weltweit verliebt sind in die Geschichte von Romeo und Julia. Und dass Verona, die Stadt, in der die Geschichte spielt, zum Wallfahrtsort für alle Romantiker geworden ist. Aber ganz ehrlich: Von der wahren Liebe spürt man dort etwa so viel wie bei Aldi um die Ecke.
Ja, ich war enttäuscht! Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Herz schlug schneller, als wir uns zusammen mit Unmengen anderer Touristen durch die dunkle Toreinfahrt in den gepflasterten Innenhof von Julias Haus drängten. Was hatte ich erwartet? Dass man dort, am Schauplatz der herzzerreiÃendsten Lovestory aller Zeiten, die groÃen Gefühle spüren könnte? Das Gegenteil war der Fall. Das Einzige, was ich spürte, war die Sonne, die auf meiner Haut brutzelte, und die Ellenbogen anderer Romantiksuchender, die mich wegstieÃen, als ich versuchte, zu der bronzenen Juliastatue vorzudringen, die schüchtern mit einem verträumten Gesichtsausdruck unter grünen Blätterranken steht. Jeder, aber wirklich jeder, fasste sie an Arm und Brust an, weil das Glück in der Liebe bringen soll.
Doch ich wollte das nicht, denn es kam mir zu persönlich vor. Der verklärte Blick dieser Statue war das Einzige in dem groÃen Gedränge, was mir romantisch erschien. Ansonsten gab es nur beschmierte Wände mit kitschigen Liebesschwüren (Ich, Mauselchen, liebe mein Spätzelchen â würg!) und überall Souvenirläden, in denen man Baci di Giulietta (Küsschen von Julia) in Form von Pralinen mit Likörfüllung kaufen konnte. Liebe ist vielleicht nicht käuflich, allerdings scheint sie sich hervorragend verkaufen zu lassen.
Aber die absolute Krönung der Geschmacklosigkeit war der Balkon! »Was für ein Licht bricht durch das Fenster dort? Es ist der Osten, und Julia ist die Sonne.« Sagt Romeo. (Ich gebe zu, die Zitate habe ich aus einem der Prospekte, die man überall bekommt). Aber die einzigen Mädels, die den Balkon stundenlang besetzt hielten, um für Fotos zu posieren, war eine Reihe bleicher Mondgesichter. Ansonsten: jede Menge wild knutschender Pärchen. Mit der Romantik des gestohlenen Kusses von Romeo und Julia hatte das nicht das Geringste zu tun. Und jetzt kommtâs: Ich hörte einen Fremdenführer erklären, dass der Balkon erst 1940 (!) angebracht wurde, um das Haus der Vorstellung aller Romantikpilger anzupassen, und früher wahrscheinlich Teil eines Sarkophags war!
Apropos Sarkophag: Natürlich gibt es auch eine Grabstätte, wo Julia angeblich begraben liegt. Zu dieser schmucklosen Gruft in einem alten Klosterkeller pilgern Julias Fans ebenfalls in Scharen, um ihr Blumen und Briefe zu bringen. Julia hat sogar einen
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