Love Train
mir irgendetwas bedeutet, vor mir weg, bevor ich die Chance habe, ihm zu erklären, was tatsächlich passiert ist? Was musste Felix jetzt bloà von mir denken? Womöglich, dass ich mich dem Freund meiner Schwester an den Hals geworfen hatte! Selbst wenn er sich jemals für mich interessiert hatte, was ich ja ohnehin bezweifelte, würde er mich nun abhaken, und ich würde nie wieder die Gelegenheit bekommen, ihm zu sagen, was ich für ihn empfand.
Und dann war da noch Juli, die offensichtlich ebenfalls glaubte, ich hätte hinter ihrem Rücken etwas mit ihrem Freund angefangen. Sie strafte mich mit Schweigen, seit sie in das kleine Zimmer in unserem Hostel zurückgekehrt war, wo ich heulend auf dem Bett lag und ein Taschentuch nach dem anderen vollrotzte. Mit sturmumwölkter Miene tigerte Juli unablässig auf den paar Quadratmetern vor diesem Bett auf und ab und grummelte gelegentlich unverständliche Flüche vor sich hin. Früher wäre diese Gewitterstimmung zwischen uns normal gewesen, doch weil wir in den vergangenen drei Wochen Freundinnen geworden waren, schmerzte mich Julis Zorn jetzt umso heftiger.
Piep, piep. Julis Handy riss mich aus meiner Starre und ich griff nach dem nächsten Taschentuch. Piep, piep. Es war die gefühlt zwanzigste Kurznachricht, die Juli inzwischen erhalten hatte, aber sie ignorierte das penetrante Piepen und setzte ihren Marsch durchs Zimmer ungebremst fort. Lautstark schnäuzte ich mir die Nase, holte tief Luft und startete einen erneuten Versuch, um zu Juli durchzudringen. Meine bisherigen Ansätze hatte sie immer nach den ersten drei Wörtern mit einer genervten Handbewegung abgewürgt, aber da sie mich selbst angesprochen hatte, hoffte ich, dass sie sich ein bisschen beruhigt hatte.
»Schreibt er dir?«, fragte ich und ruckte mein Kinn in Richtung des Handys auf dem gegenüberliegenden Bett.
»Hm«, machte Juli, ohne ihren Schritt zu verlangsamen.
»Und was will er?«
»Er entschuldigt sich und bittet um eine zweite Chance, was sonst?«, gab Juli barsch zurück.
»Und gibst du sie ihm?«, hakte ich vorsichtig nach und wischte mir die Tränen von den Wangen.
»Im Leben nicht!« Endlich unterbrach Juli ihr Gerenne und baute sich, die Hände in die Taille gestützt, vor meinem Bett auf, als wolle sie mir zu verstehen geben, dass auch ich in ihren Augen keine zweite Chance verdiente. Prompt fingen die Tränen wieder an zu kullern.
»Juli.« Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Ich konnte nichts dafür. Er hat mich einfach geküsst. Ich war total überrumpelt. Ich wollte das nicht, das musst du mir bitte glauben.« Ich rechnete mit einem neuen Wutausbruch meiner Schwester, doch plötzlich sah sie aus, als wäre ihr die Luft ausgegangen. Kraftlos lieà sie sich neben mir auf die Matratze sinken.
»Ja, das hab ich mir inzwischen auch schon gedacht«, erklärte sie zu meinem Erstaunen. »Ich glaube, ich wollte es nicht wahrhaben, dass Tobi so etwas tun würde, aber du bist ein solches Häufchen Elend, dass es mir schwerfällt, dir weiter die Schuld daran zu geben. Nein, das hat der Mistkerl ganz allein verbockt. Und jetzt kann er mir SMS schreiben, bis er schwarz wird. Von mir hört der nichts mehr! Ich habe wirklich Besseres zu tun, als diesem blöden Kerl hinterherzutrauern.«
Meine Erleichterung über Julis Einlenken war so groÃ, dass die Tränen, die mir über die Wangen liefen, zu einem Sturzbach zu werden drohten. Ungeduldig versuchte ich, sie mit dem Taschentuch zu stoppen, aber es kamen immer neue nach.
»Nun hör endlich auf zu heulen, Lenchen«, sagte meine Schwester mit einem Mal ganz liebevoll. Ich glaube, Lenchen hatte sie mich noch nie genannt. »Das macht hässliche Tränensäcke!« Mit dem Zeigefinger strich sie mir über die Wan genknochen, was nur zu heftigeren Schluchzern meinerseits führte. Erschrocken zuckte Juli zurück. »Mensch, du fühlst dich ja total heià an! Was ist los, wirst du etwa krank? Untersteh dich, hörst du?«
Ich nickte, zuckte mit den Schultern und heulte weiter. Ich fühlte mich tatsächlich krank. Schrecklich krank. Mein Kopf pochte, als wollte er zerspringen, mein Hals brannte und mein ganzer Körper war schlapp. Bislang hatte ich diese Symptome ignoriert, weil ich so damit beschäftigt gewesen war, verzweifelt zu sein, doch als Juli mich darauf ansprach, wurden sie
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