Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
Atem, der über mein Ohr, meinen Hals strich. Seine Frage an mich an dem Abend im Kino, ob ich meinem früheren Ich nachtrauerte, der Amy, die ich einmal gewesen war, vor Julias Tod.
»Nicht nötig«, sagte ich und meine Stimme – sie bebte. Versagte. Äußerlich bin ich groß, aber innerlich so klein. So schwach.
»Der ganze Kitsch hier, das war wohl nicht ihr Ding,was?«, sagte Patrick und zeigte auf die Flut von Glitzisternchen und verlogenen Worten, die um meine Füße herum verstreut lagen.
»Nein«, sagte ich und bohrte meinen Schuh in ein Herz, auf dem Beths Name glitzerte. (Keine Botschaft natürlich. Nur ihr Name – BETH – in Glitzerbuchstaben.) Und dann, als mir bewusst wurde, was Patrick gerade gesagt hatte, fügte ich hinzu: »Hast du sie gekannt?«
Er zog einen Stern vom Schließfach ab. »Nicht wirklich. Aber sie … sie war ja nicht zu übersehen. Und wir haben einmal geredet …«
»Das hat sie mir nie erzählt.«
Er reichte mir den Stern. Ich wartete ab, ob er noch etwas sagen würde, aber es kam nichts. Stattdessen pulte und riss er schweigend am Schließfach herum und fing die Tür auf, als ich sie aufriss. Einen Augenblick roch es nach Julia, wie ein Hauch von ihr, verborgen unter dem Kleber- und Tintengeruch, den Botschaften, die sie nie erreichen würden, und mir wurde ganz schwindlig, so sehr sehnte ich mich nach ihr.
Ich schob meine Hand hinein, um mich festzuhalten, und meine Finger trafen auf etwas. Im obersten Regal, ganz hinten in eine Ecke gestopft, fand ich ein Lipgloss-Döschen, eines, das Julia gekauft hatte, als wir letztes Jahr am Tag nach Thanksgiving mit der Kreditkarte ihrer Mom in der Parfümerie waren. Im Laden hatte ihr das Lipgloss gefallen, aber hinterher fand sie es grässlich, weil es draußen, im Tageslicht, nicht tiefrot war, sondernorangig-dunkelbraun, ein Farbton, den kein Mensch tragen konnte.
Ich dachte daran, wie sie das Lipgloss in ihr Schließfach getan und gesagt hatte: »Damit ich nie vergesse, dass jeder mal Fehler macht. Sogar ich.« Dann grinste sie übermütig und zog zwei kleine Schnapsfläschchen hervor.
Sie schwenkte sie vor meiner Nase herum und dann schlichen wir uns ins Klo. Julia lachte, als ich schon nach dem zweiten Fläschchen griff, während ich noch das erste trank, und ich lachte auch, weil ich wusste, dass sie es mir geben würde, wusste, dass Julia …
»Amy?«
Ich hatte Julias Lipgloss so fest gepackt, dass das Döschen zerbrochen war und die Farbe sich über meine Handfläche verteilt hatte wie ein hässlicher Ausschlag. Ich starrte darauf, aber es ging nicht weg. Ich sehnte mich verzweifelt danach, dass Julia kommen und mich auslachen würde, dass sie mich zwingen würde, meinen Ärmel zu nehmen und meine Hand damit sauber zu rubbeln. Dass sie das Lipgloss nehmen und mit angeekelter Miene über die Schulter werfen würde, ohne sich darum zu kümmern, ob es im Mülleimer oder auf dem Boden landete. Ich wünschte mir mit aller Kraft, dass sie da wäre.
Warum hat Julia nie etwas über meine Alkoholsucht gesagt? Ich hatte Laurie angelogen. Wenn ich kotzen musste oder umkippte, sagte Julia kein Wort. Sie half mir einfach auf. Holte mir Wasser. Reichte mir Papiertücher oder gab mir einen alten Pulli aus ihrem Auto. Das alleshat sie für mich gemacht, aber sie sagte nie ein Wort. Nie.
Und sie gab mir immer was zu trinken, wenn ich sie fragte.
Patrick berührte meine Hand und ich schaute ihn an. Er sah geschockt aus, starrte auf seine Finger, die über die Lipgloss-Schmiere auf meiner Hand glitten, als würde er seine eigene Haut nicht kennen.
»Du hast es zerbrochen«, sagte er und ich sah ihn sprechen, aber seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Seine Hand war eisig, seine Finger wie Eiszapfen an meiner Haut. Ich riss mich von ihm los.
»Das ist ihres«, sagte ich. Ich sagte es noch mal, lauter, aber da war niemand, der mich hören konnte. Patrick war bereits fort und ich stand nur da, Julias Lipgloss in meine Haut gequetscht.
Giggles fand mich, reglos vor dem Schließfach stehend, als die Glocke schon geläutet hatte. Sie scheuchte mich in ihr Büro, wo ich mir die Hände waschen musste. Das Lipgloss-Döschen gab sie mir nicht zurück. Als sie mit ihrer Strafpredigt fertig war und mich zu Mr Waters schickte, sah ich, wie sie es von ihrem Schreibtisch herunterfegte und in den Mülleimer knallte.
Ein wilder Schmerz durchzuckte mich, als ich das sah. Warum musste dieses winzige Stück von
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