Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
Julia auch noch verschwinden? Schwarzgelbe Pünktchen tanzten vor meinen Augen und ich hätte am liebsten geschrien: »Gib das her! Gib das sofort her!«
Aber ich sagte keinen Ton, obwohl ich mir wünschte, ich hätte es getan. Ich hatte Julias Schließfach in Ordnung gebracht, aber das war nichts. Gar nichts.
Mr Waters sagte, meine Eltern seien informiert worden, und er brummte mir eine Strafarbeit auf – 2500 Wörter sollte ich schreiben, über den Respekt, den man anderen Menschen schuldet.
»Ich denke, das dürfte hilfreich für dich sein«, sagte er mit einem Blick zu Mrs Harris, ob er auch das Richtige gesagt hatte, »in Anbetracht deiner … äh … besonderen Situation … Und wir wollen dir wirklich helfen, verstehst du?«
Er fragte nicht, warum ich das gemacht hatte. Niemand fragte mich. Und weil niemand fragte, erfuhr auch niemand, dass ich nichts Böses wollte – nur einen Teil von Julia zurückbringen.
15
130 Tage.
Es kommt mir wie nichts vor und gleichzeitig wie eine Ewigkeit. Ich würde gern mit Laurie darüber reden, aber das bringt ja doch nichts.
Wenn ich sie doch nur nicht jede Woche sehen müsste. Oder am besten gar nicht mehr. Mom oder Dad (wahrscheinlich beide) müssen sie angerufen und ihr von meinem Schuleschwänzen und dem Schließfachdrama erzählt haben, denn als ich mich hinsetzte, waren die ersten Worte aus ihrem Mund: »Willst du mir nicht erzählen, was in der Schule los war?«
Ja, genau. Als ob ich wild drauf wäre, ihr bescheuertes Klicken zu hören. Ich gab keine Antwort, sondern wühlte in meinem Rucksack. Zu dumm, dass ich keine Zeitschrift aus dem Wartezimmer mit hereingenommen hatte, sonst hätte ich mich jetzt hinsetzen und vor ihren Augen darin blättern können. Aber ich hatte nur meine Hausaufgaben dabei – so tief gesunken war ich doch noch nicht, dass ich die freiwillig machte – und das Notizbuch, das für Julia reserviert ist. Für meine Briefe an sie. Ich zog es heraus und klickte ein paarmal demonstrativ mit meinem Kugelschreiber.
»Du kannst auch über was anderes reden, wenn du willst«, sagte Laurie und ich unterdrückte ein schadenfrohes Grinsen. Das Klicken hatte gewirkt.
»Zum Beispiel über dein Notizbuch«, fuhr sie fort. »Mir ist aufgefallen, dass du es immer dabeihast. Wofür ist es?«
»Nichts«, sagte ich so gelangweilt wie möglich, damit sie nicht weiterfragte.
Laurie sah mich an. Ich schaute zurück. Sie klickte mit ihrem Kugelschreiber (Aaaah!) und sagte: »Gut, dann lassen wir das. Ich hatte dich gebeten, über Julia und deine Freundschaft zu ihr nachzudenken und wir haben über bestimmte Ereignisse geredet.«
Womit sie natürlich auf diese Sache anspielte, über die wir schon mal geredet hatten, und das wollte ich nicht. Auf keinen Fall. Ich rammte das Notizbuch wieder in meine Tasche und stellte mir vor, dass es ihr großer, dummer Kopf wäre.
»Du siehst aufgebracht aus«, sagte sie.
»Ich bin okay«, erwiderte ich und schaute auf die Uhr. Immer noch eine Ewigkeit.
Warum kann Laurie nicht einfach ihre Klappe halten und mich auf Medikamente setzen? Ich nehme alles, Hauptsache, ich muss nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ganz am Anfang, als ich nach Pinewood kam, haben die Ärzte das auch versucht. Mich mit Antidepressiva zu behandeln. Das erste war eine Katastrophe – ich kam zwei Tage nicht mehr vom Klo runter, wegen einer »schweren Magen-Darm-Störung«, wie sie es nannten. (Nur Ärztebringen es fertig, so hochtrabende Namen dafür zu erfinden.)
Dann bekam ich eine andere Pille, von der mir speiübel wurde, sodass ich nichts mehr essen konnte. Oder nein, ich konnte schon essen, aber es kam alles sofort wieder hoch. Danach weigerte ich mich, noch irgendwas zu nehmen, aber meine medizinischen Betreuer riefen Mom und Dad an (beraumten eine Konsultation an, damit es mehr kostete) und empfahlen ein Mittel, von dem ich noch nie gehört hatte.
Jedenfalls sagte Mom, die unschlagbar darin ist, jedes Thema zu Tode zu recherchieren, dass sie es sich überlegen wollten, und nach einer Weile rief sie zurück und erklärte, sie würde auf keinen Fall zulassen, dass ihre Tochter mit Antidepressiva behandelt wurde. Ich war auch nicht wild drauf, dieses Zeug zu nehmen (ha!), aber am nächsten Tag hatte ich meine erste Sitzung bei Laurie und am Ende der Stunde war ich so weit, dass ich alles geschluckt hätte, nur um von ihr und ihren verdammten Fragen wegzukommen. Ich sagte ihr, dass die Ärzte mir verschiedene
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