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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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das wilde Kreischen, das aus der Brust seines Bruders gekommen ist – diesen unmöglichen Katzenmörderschrei –, und glaubt selbst nicht daran.
    Und als er ohne Jacke in die Kälte hinausläuft, glaubt er sogar zu wissen, was Paul zugestoßen ist. Es gibt einen Ort, den er aufsuchen kann, wenn Daddy ihm wehgetan hat, und dorthin hat er Paul mitgenommen, wenn Daddy Paul wehge tan hat. An diesem Ort gibt es gute Dinge, schöne Bäume und heilendes Wasser, aber auch schlimme Wesen. Scott versucht, diesen Ort möglichst nicht nachts aufzusuchen, und wenn doch, ist er leise und kommt schnell zurück, weil die tiefe Intuition seines Kinderherzens ihm sagt, dass die Nacht die Zeit ist, in der die schlimmen Wesen am häufigsten heraus kommen. Weil sie nachts jagen.
    Wenn wir dorthin gehen können, ist es dann so abwegig, zu glauben, dass irgendwas – ein bösmülliges Irgendwas – Paul infizieren und so hierher gelangen kann? Etwas, was ihn ge sehen und als Wirt benutzt hat, oder vielleicht bloß irgendein dämlicher Bazillus, der durch Pauls Nase in sein Gehirn ge langt ist?
    Und wer wäre dann schuld daran? Wer hat Paul überhaupt erst mitgenommen?
    Im Schuppen wirft Scott die leichte Kette in den Schubkarren. Das dauert nur ein paar Sekunden. Die Traktorkette ein zuladen erweist sich als weit schwieriger. Die Traktorkette ist schaurig rihiesig, redet die ganze Zeit in ihrer klirrenden Sprache mit den Vokalen ganz aus Stahl. Zweimal gleiten schwere Schlingen durch seine zitternden Arme, reißen ihm beim zweiten Mal die Haut auf und lassen Blut hervortreten, hellrot wie Rosenknospen. Beim dritten Versuch hat er sie fast im Schubkarren, als ein zehn Kilo schwerer Arm voller Kettenglieder nicht in der Mitte, sondern seitlich der Mulde aufkommt, worauf die gesamte Ladung auf Scotts Fuß kracht, ihn unter Stahl begräbt und Scott einen Schmerzensschrei in perfektem Sängerknabensopran ausstoßen lässt.
    Scooter, wird das noch was, möglichst vor dem Jahr zwei tausend?, plärrt Daddy aus dem Haus. Wenn du kommen willst, dann komm gefälligst, verfluchter Lahmarsch!
    Scott sieht mit entsetzt geweiteten Augen zum Haus hinüber, dann stellt er den Schubkarren wieder auf und beugt sich über den großen öligen Kettenhaufen. Sein Fuß wird noch einen Monat später in allen Regenbogenfarben schillern, und er wird dort für den Rest seines Lebens Schmerzen haben (ein Problem, das sich durch Reisen an jenen anderen Ort nie beheben lässt), aber im Moment spürt er nichts mehr. Er macht sich wieder daran, die Kette in den Schubkarren zu laden, spürt, dass ihm heißer Schweiß über Rippen und Rücken läuft, riecht seinen Gestank und fürchtet sich davor, den Schuss zu hören, der bedeuten würde, dass durch seine Schuld Pauls Gehirn überall auf dem Kellerboden verteilt ist. Die Zeit wird ein körperliches Etwas mit Gewicht, wie ein Klumpen Erde. Wie Kettenglieder. Scott erwartet, dass Daddy ihn wieder aus dem Haus anbrüllen wird, und als er es noch immer nicht getan hat, als Scott beginnt, den Schubkarren in den gelblichen Lichtschein aus den Küchenfenstern zu schieben, wird in Scott eine andere Befürchtung wach: dass Paul sich doch befreit haben könnte. Auf dem festgestampften Boden mit dem Modergeruch liegt nicht Pauls Gehirn, dort liegen Dad dys Eingeweide, die dieses Wesen, das heute Nachmittag noch Scotts Bruder war, ihm bei lebendigem Leib herausgerissen hat. Paul ist die Treppe heraufgekommen und hält sich im Haus versteckt, und sobald Scott hineingeht, beginnt die Bool-Jagd. Nur wird diesmal er die Siegestrophäe sein.
    Das ist natürlich alles Einbildung, seine verdammte alte Fantasie, die galoppiert wie ein Nachtpferd mit wildem Blick, aber als sein Vater mit einem Satz auf die kleine Treppe vor der Küchentür springt, hat sie sich so weit ausgewirkt, dass Scott einen Augenblick lang nicht Andrew Landon, sondern Paul sieht, der wie ein Gnom grinst und laut kreischt. Als Scott die Hände hochreißt, um sein Gesicht zu schützen, kippt der Schubkarren fast wieder um. Doch Daddy hält ihn fest. Dann hebt er eine Hand, um seinen Sohn zu schlagen, und lässt sie sofort wieder sinken. Vielleicht wird es später Prügel setzen, aber nicht jetzt. Jetzt braucht er ihn. Statt ihn zu schlagen, spuckt Daddy sich also in die rechte Hand und ver reibt die Spucke in der linken. Dann bückt er sich, scheinbar ohne die Kälte zu spüren, obwohl er im Unterhemd im Freien steht, und packt den vorderen Rand des Schubkarrens.
    Ich

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