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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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überlegt, ich will es riskieren‹, könnten wir darüber reden, weil es nach Paul schließlich auch dich gegeben hat.«
    »Lisey …«
    »Dann könnten wir darüber reden. Ansonsten wollen wir nie wieder über Gomer und Bösmüllige und diese Welt re den, okay?« Sie sieht seinen gekränkten Blick und mildert ihren Ton. »Das hat nichts mit dir zu tun, Scott – nicht alles dreht sich um dich, weißt du. Es geht ausnahmsweise um mich . Hier ist es schön …« Sie sieht sich um. Und sie erschau dert leicht. »Es ist zu schön. Wenn ich zu lange hier blei be – oder auch nur zu lange daran denke –, treibt mich die se Schönheit in den Wahnsinn, glaube ich. Wenn uns also nicht viel Zeit bleibt, musst du dich einmal in deinem ver schmickten Leben kurz fassen. Erzähl mir, wie du ihn be graben hast.«
    Scott wendet sich halb von ihr ab. Der orangerote Schein der untergehenden Sonne zeichnet die Linien seines Körpers nach: den Rand des Schulterblatts, die leicht eingeschnürte Taille, die Rundung seines Hinterns, den langen, schwach gekrümmten Bogen eines Schenkels. Er berührt den Quer balken des Grabkreuzes. Der im hohen Gras kaum sichtbare durchsichtige Zylinder der Injektionsspritze schimmert wie ein vergessenes Stück irgendeines Talmischatzes.
    »Ich habe ihn mit Gras zugedeckt, dann bin ich nach Hause zurückgekehrt. Ich konnte fast eine Woche lang nicht mehr kommen. Ich war krank. Ich hatte Fieber. Daddy hat mir mor gens Haferflocken gemacht und dann eine Suppe, wenn er von der Arbeit gekommen ist. Ich hatte Angst vor Pauls Geist, aber der hat sich nie blicken lassen. Als ich wieder gesund war, hab ich versucht, mit Daddys Schaufel aus dem Schup pen herzukommen. Aber sie ist nicht mitgekommen. Nur ich. Ich dachte, die Tiere hätten ihn angefressen – die Lacher und andere –, aber das hatten sie noch nicht getan, deshalb bin ich zurückgegangen und hab versucht, eine alte Kinderschaufel mitzunehmen, die ich in unserer Spielkiste auf dem Dach boden gefunden habe. Sie ist mitgekommen, und damit hab ich Paul sein Grab gegraben, Lisey – mit einer roten Plastik schaufel, die wir für den Sandkasten hatten, als wir noch ganz klein waren.«
    Die untergehende Sonne hat begonnen, rosa zu verblassen. Lisey schlingt die Arme um ihn und drückt ihn an sich. Scott erwidert ihre Umarmung, verbirgt sein Gesicht sekundenlang in ihren Haaren. »Du hast ihn sehr geliebt«, sagt sie.
    »Er war mein Bruder«, antwortet er nur, und das genügt.
    Während sie in der herabsinkenden Abenddämmerung so dastehen, sieht Lisey etwas anderes … oder glaubt, es zu sehen. Noch ein Stück Holz? Es sieht aus wie ein weiteres Kis tenbrett, das ziemlich genau an der Stelle liegt, wo der Weg den lupinenbewachsenen Hügel verlässt (dessen Lavendelfar be jetzt allmählich zu dunklem Purpur wird). Nein, nicht nur ein Brett – zwei.
    Ein weiteres Kreuz, fragt sie sich, das zerfallen ist?
    »Scott? Ist hier noch jemand begraben?«
    »Hä?« Er wirkt überrascht. »Nein! Es gibt einen Friedhof, klar, aber nicht hier, sondern beim …« Er sieht, worauf ihr Blick gefallen ist, und lacht leise glucksend. »He, das ist kein Kreuz, das ist ein Wegweiser! Paul hat ihn angefertigt, als wir mit den Bool-Jagden angefangen haben – als er manchmal noch selbst hierherkommen konnte. Den alten Wegweiser hatte ich ganz vergessen!« Er befreit sich aus ihrer Umar mung, hastet darauf zu. Läuft ein kleines Stück den Weg entlang. Verschwindet fast unter den Bäumen. Lisey weiß nicht recht, ob ihr das gefällt.
    »Scott, es wird dunkel. Sollten wir nicht lieber gehen?«
    »Augenblick noch, Babylove, nur noch einen Augenblick.« Er hebt eines der Bretter auf und bringt es ihr. Sie kann Buch staben erkennen, die aber schon ganz verblasst sind. Sie muss das Brett schräg vor ihre Augen halten, bevor sie die beiden Wörter entziffern kann:
    ZUM POOL
    »Pool?«, fragt Lisey.
    »Pool«, bestätigt Scott. »Reimt sich auf Bool, weißt du.« Und er lacht tatsächlich. Nur erheben in diesem Augenblick tief im Innern des Märchenwalds, wie er ihn nennt (in dem be stimmt schon längst Nacht herrscht), die ersten Lacher ihre Stimmen.
    Es sind nur zwei oder drei, aber diese Laute erschrecken Lisey trotzdem mehr als alles, was sie je im Leben gehört hat. Für sie sind es keine Hyänen-, sondern Menschen stimmen: Wahnsinnige, die man in die tiefsten Tiefen irgendeines Toll hauses im 19. Jahrhundert geworfen hat. Sie umklammert Scotts Arm, gräbt ihre Nägel in seine

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