Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
gegangen war.
    Scott wirkte damals überrascht. »Lange her, dass ich daran gedacht habe«, sagte er, »aber ja, er konnte herkommen. Es war nur schwierig für ihn, wie es für mich immer schwierig war, einen Baseball zu treffen. Also hat er es meistens mir überlassen, und ich glaube, nach einiger Zeit hatte er es völlig verlernt.«
    Die Frage, die ihr auf der Rückfahrt im Auto eingefallen war, hatte sich auf den Pool bezogen, zu dem das inzwischen demolierte Schild früher den Weg gewiesen hatte. War das der Pool, von dem Scott in seinen Vorlesungen immer sprach? Lisey stellte die Frage nicht, weil die Antwort auf der Hand lag. Sein Publikum durfte gern glauben, der Mythen-Pool, der Wörter-Pool (zu dem wir alle hinuntergehen, um zu trinken, zu schwimmen oder vielleicht ein bisschen zu angeln) wäre nur ein Symbol; sie wusste es besser. Es gab einen wirklichen Pool. Das hatte sie damals gewusst, weil sie ihn kannte. Das wusste sie jetzt, weil sie dort gewesen war. Man ereichte ihn vom Sweetheart Hill aus, indem man dem Weg folgte, der in den Märchenwald führte; man musste den Glocken-Baum und den Friedhof passieren, um dorthin zu gelangen.
    »Ich bin hingegangen, um ihn zurückzuholen«, flüsterte sie mit dem Spaten in der Hand. »Und wir haben miteinander in diesem Pool gestanden wie Mitglieder einer Hinterwäldlerkir che bei der Taufe durch Untertauchen.« Dann sagte sie plötz lich: »O Gott, ich erinnere mich an den Mond«, und bekam am ganzen Körper eine so schmerzhafte Gänsehaut, dass sie sich auf dem Bett wand.
    Der Mond. Ja, genau der. Ein blutig orangeroter Rausch giftmond, so jäh anders als die Nordlichter und die grimmige Kälte, die sie gerade hinter sich gelassen hatte. Er war som merverrückt sexy gewesen, dieser Mond, geheimnisvoll köst lich, während er das schluchtartige Tal, das sich an den Pool anschloss, deutlicher erhellte, als sie es sich gewünscht hätte. Sie konnte es jetzt fast so klar sehen wie damals, weil sie den purpurroten Vorhang zerteilt, ihn höchst gerecht zerrissen hatte, aber auch das beste Gedächtnis hatte Lücken, und Lisey ahnte, dass ihres fast erschöpft war. Ein wenig war vielleicht noch zu erwarten – ein paar Bilder aus ihrer persönlichen Bücherschlange –, aber nicht allzu viel, und danach würde sie selbst nach Boo'ya-Mond zurückkehren müssen.
    Die Frage war nur: Würde sie es können?
    Dann drängte sich ihr eine weitere Frage auf: Was, wenn er zu den Verhüllten gehört?
    Einen Augenblick lang kämpfte ein Bild darum, sich in Liseys Kopf scharf zu stellen. Sie sah Dutzende von stummen Gestalten, die in altmodische Leichentücher gehüllte Tote hät ten sein können. Nur lagen sie nicht, sondern saßen da. Und Lisey glaubte, dass sie atmeten.
    Ein Schauder durchlief ihren Körper. Trotz des Vicodins schmerzte er in ihrer zerschnittenen Brust, aber er ließ sich nicht aufhalten, bis er abgeklungen war. Erst danach war sie imstande, wieder praktische Erwägungen anzustellen. Die wichtigste Frage war, ob sie allein in jene andere Welt über wechseln konnte, denn sie musste dorthin, ob ihr vor den Ver hüllten gruselte oder nicht.
    Scott hatte das gekonnt; er hatte sogar noch seinen Bru der Paul mitnehmen können. Als Erwachsener hatte er Lisey aus dem Antlers mitnehmen können. Die entscheidende Fra ge war, was siebzehn Jahre später in jener kalten Januarnacht des Jahres 1996 geschehen war.
    »Er war nicht ganz weg«, murmelte sie. »Er hat meine Hand gedrückt.« Ja, und sie hatte sich überlegt, ob er vielleicht anderswo mit seiner gesamten Kraft und Energie drücken musste, um ihr dieses Zeichen geben zu können – aber bedeu tete das, dass er sie geholt hatte?
    »Ich habe ihn angeschrien, dass er es tun soll.« Lisey lächel te tatsächlich. »Ich habe ihm gesagt, wenn er zurückkommen will, muss er mich zu sich holen … und ich habe immer ge glaubt, dass er's getan …«
    Blödsinn, kleine Lisey, du hast nie darüber nachgedacht. Stimmt's? Erst heute, als du in deiner Notlage nicht anders konntest. Wenn du also schon darüber nachdenkst, solltest du wirklich darüber nachdenken. Hat er dich in jener Nacht zu sich geholt? Hat er das getan?
    Sie wollte schon zu dem Schluss gelangen, dass diese Frage so wenig zu beantworten war wie die Huhn-oder-Ei-Sache, als ihr plötzlich einfiel, dass er Lisey, du bist ein echter Champ gesagt hatte.
    Also gut, vielleicht hatte sie es 1996 allein geschafft. Aber damals hatte Scott noch gelebt, und der Druck seiner

Weitere Kostenlose Bücher