Lovesong
stehe da, den Hörer immer noch ans Ohr gepresst, und lasse mir Bryns letzte Worte durch den Kopf gehen. Ob da wohl ein kleines bisschen Vergebung in diesen feindseligen Worten mitschwang? Keine Ahnung, ob das wichtig ist, denn als ich jetzt die kühle Luft rieche, spüre ich, wie mich ein Gefühl der Befreiung und der Erleichterung überkommt.
Nach einer Weile sehe ich hoch. Mia steht an der Schiebetür und wartet auf eine Entwarnung. Ich winke ihr schwach zu, woraufhin sie langsam auf die gepflasterte Veranda zugeht, auf der ich immer noch mit dem Telefon in der Hand stehe. Sie greift nach dem Hörer, so als wäre er ein Staffelstab, den ich nun abgeben soll. »Alles in Ordnung?«, erkundigt sie sich.
»Ich bin wohl ab jetzt von meinen früheren Verpflichtungen entbunden, könnte man sagen.«
»Die Tour?« Sie klingt überrascht.
Ich schüttle den Kopf. »Nicht die Tour. Aber der ganze Mist, den ich davor hätte erledigen müssen. Und meine anderen … äh … Verpflichtungen.«
»Oh.«
Wir stehen beide eine Zeit lang bloß da und grinsen wie blöd, während wir uns beide am Telefon festklammern. Endlich gebe ich auf und entwinde es sanft ihrem Griff. Ich lege das Telefon auf einen Tisch, doch ihre Hand lasse ich nicht los.
Ich streife mit dem Daumen über die Schwielen an ihrem Daumen, hin und her über ihre Knöchel und ihr Handgelenk. Es kommt mir so vor, als wäre das ganz natürlich und zugleich ein riesiges Privileg. Das ist Mia, die ich hier berühre. Und sie lässt es zu. Nein, sie lässt es nicht einfach nur zu, sie schließt sogar die Augen und genießt meine Berührung.
»Geschieht das hier wirklich? Darf ich echt diese Hand halten?«, frage ich und hebe sie an meine stoppelige Wange.
Mias Lächeln ist wie geschmolzene Schokolade, wie ein verdammt geiles Gitarrensolo … Es ist überhaupt das Beste auf der ganzen Welt. »Mmmm«, brummt sie als Antwort.
Ich ziehe sie an mich. Tausend Sonnen steigend strahlend aus meiner Brust empor. »Und darf ich auch das hier tun?« Und mit dieser Frage schlinge ich meine Arme um sie und tanze mit ihr engumschlungen durch den Garten.
Ihr Gesicht strahlt jetzt über und über. »Ja, du darfst«, flüstert sie.
Ich lasse meine Hände an ihren Armen auf und ab gleiten. Ich drehe sie um die Pflanztöpfe herum, die voller duftender Blumen sind. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar und sauge ihren Duft auf, den Duft des nächtlichen New York, der sich dort festgekrallt hat. Ich folge ihrem Blick nach oben gen Himmel.
»Glaubst du, dass sie uns zusehen?«, frage ich, während ich ganz sanft die Narbe an ihrer Schulter küsse. Brennende Pfeile rauschen herab und dringen in jeden Winkel meines Körpers.
»Wen meinst du?«, erkundigt sich Mia. Sie beugt sich zu mir, fröstelt leicht.
»Deine Familie. Du denkst doch, dass sie dich beobachten. Glaubst du, dass sie das hier jetzt sehen können?« Ich schlinge ihr den Arm um die Hüfte und küsse sie direkt hinterm Ohr. Früher hat sie das fast verrückt gemacht, und so heftig wie sie jetzt einatmet und mir die Nägel in die Seiten krallt, gefällt es ihr immer noch. Mir fällt auf, dass meine Fragen ein kleines bisschen unheimlich sind, aber es fühlt sich nicht so an. Gestern Nacht hat mich der Gedanke, ihre Familie könnte Bescheid wissen über alles, was ich tue, irgendwie beschämt, aber jetzt, na ja, es ist zwar nicht so, dass ich unbedingt möchte, dass sie es sehen, aber ich will zumindest, dass sie darüber, über uns, Bescheid wissen .
»Ich stell mir lieber vor, dass sie mir meine Privatsphäre lassen«, meint sie und öffnet sich den Küssen, die ich auf ihrer Wange platziere, wie eine Sonnenblume. »Aber meine Nachbarn können das mit Sicherheit beobachten.« Sie fährt mir mit den Fingern durchs Haar, sodass es sich anfühlt, als hätte sie einen Stromstoß über meine Kopfhaut gejagt. Nie hätte ich gedacht, dass ein Stromstoß sich so gut anfühlen könnte.
»Hallo, Nachbarn«, sage ich, während ich mit den Fingern ganz langsam und zärtlich um ihr Schlüsselbein kreise.
Ihre Hände gleiten unter mein T-Shirt, mein dreckiges, stinkendes schwarzes, zum Glück glückbringendes Glücks-T-Shirt. Ihre Berührungen sind nicht mehr ganz so sanft. Sie wird fordernder, sendet mir mit den Fingerkuppen eine drängende Botschaft im Morsecode. »Wenn wir so weitermachen, dann kriegen meine Nachbarn aber ganz schön was zu sehen«, flüstert sie mir zu.
»Wir sind doch beide von Berufs wegen darstellende
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