Lovesong
Sofern du es willst. Wenn nicht, verstehe ich das auch.«
»Nein, ich will es ja genauso. Glaub mir, ich will es. Aber wie soll das funktionieren? Bei deinem Terminplan? Mit der Band?«
Ich zögere kurz. Wenn ich es jetzt laut ausspreche, dann wird es ein für alle Mal zur Realität. »Es gibt keine Band mehr. Zumindest nicht für mich. Ich hör damit auf. Nach dieser Tour steige ich aus.«
»Nein!« Mia schüttelt so heftig den Kopf, dass die langen Haarsträhnen gegen die Wand klatschen. Diesen entschlossenen Gesichtsausdruck von ihr kenne ich nur allzu gut, und mein Magen verkrampft sich. »Das kannst du doch nicht für mich auf dich nehmen«, sagt sie, ihre Stimme jetzt weicher. »Ich will nicht schon wieder einen Freifahrtschein.«
»Einen Freifahrtschein?«
»Die letzten drei Jahre hat jeder, außer vielleicht die Leute an der Juilliard, mir immer und überall grünes Licht gegeben. Noch schlimmer, ich hab mir ja sogar selbst freie Fahrt gewährt, und das hat mich ganz und gar nicht weitergebracht. Ich will nicht mehr so sein, diese Person, der alles zufliegt, die sich nur nehmen muss, was sie braucht. Ich habe schon viel zu viel von dir angenommen. Ich werde nicht zulassen, dass du das, was du am meisten liebst, wegwirfst, nur damit du dich um mich kümmern kannst und mir mein Gepäck hinterherträgst.«
»Genau das ist der Punkt«, murmele ich. »Ich habe meine Liebe zur Musik verloren.«
»Ja, meinetwegen«, stöhnt Mia gequält.
»Nein, das Leben selbst ist schuld«, erwidere ich. »Ich werde immer Musik machen. Vielleicht geh ich sogar irgendwann wieder ins Studio und nehm was auf, aber im Augenblick brauch ich nichts dringender als eine Auszeit, um mich zu erinnern, warum ich ursprünglich mal mit der Musik angefangen habe. Ich verlasse die Band, ganz gleich was kommt. Damit hast du nichts zu tun. Und was das Kümmern anbelangt, so bin allenfalls ich derjenige, der jemanden braucht, der sich um mich kümmert. Ich bin derjenige, dem man bei seiner schweren Last tragen helfen muss.«
Ich versuche, es wie einen Witz klingen zu lassen, aber Mia hat mich schon immer durchschaut, wenn ich solchen Mist von mir gegeben habe; und in den letzten vierundzwanzig Stunden hat sie das wieder mal bewiesen.
Sie sieht mich mit ihren Laseraugen durchdringend an. »Weißt du, genau darüber habe ich in den vergangenen Jahren oft nachgedacht«, sagt sie mit erstickter Stimme. »Darüber, wer denn damals eigentlich für dich da war. Wer deine Hand gehalten hat, während du um all das getrauert hast, was du verloren hast.«
Mias Worte treten eine Lawine in mir los, und plötzlich ist mein Gesicht wieder tränenüberströmt. Himmel, ich hab drei ganze Jahre nicht geheult, und jetzt heule ich schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen.
»Jetzt ist es an mir, endlich einmal für dich da zu sein«, flüstert sie und kommt zurück zu mir, um mich mit ihrer Decke einzuhüllen, während ich ein weiteres Mal völlig die Fassung verliere. Sie hält mich fest, bis ich mich wieder meines Y-Chromosoms besinne. Dann sieht sie mich direkt an, ein leicht distanzierter Ausdruck im Gesicht. »Dein Festival fängt nächsten Samstag an, stimmt’s?«, erkundigt sie sich.
Ich nicke zustimmend.
»Ich habe zwei Auftritte in Japan und dann noch einen in Korea am Donnerstag. Also könnte ich am Freitag schon wieder weg, und wenn man in Richtung Westen fliegt, gewinnt man ja sowieso einen Tag. Ich hab erst wieder eine Woche später einen Termin in Chicago. Wir könnten also direkt von Seoul nach London fliegen.«
»Was sagst du da?«
Sie wirkt so schüchtern, als sie die nächste, die entscheidende Frage stellt, als bestünde tatsächlich der Hauch einer Chance, dass ich Nein sagen könnte, als wäre es nicht genau das, was ich mir immer gewünscht habe.
»Kann ich mit dir zu dem Festival kommen?«
22
»Wieso darf ich eigentlich nie zu irgendwelchen Konzerten?«, fragte Teddy.
Wir saßen alle um den Tisch versammelt, Mia, Kat, Denny, Teddy und ich. Ich konnte echt nichts dafür. Denny kochte nun mal tausendmal besser als meine Mutter.
»Was meinst du, kleiner Mann?«, erkundigte sich Denny und schaufelte eine Ladung Kartoffelbrei auf Teddys Teller, gleich neben den gegrillten Lachs und den Spinat, den Teddy – ohne Erfolg – versucht hatte, zu verweigern.
»Ich hab mir die alten Fotoalben angesehen. Mia durfte ständig auf Konzerte mit. Schon als sie noch ein Baby war. Und ich war noch auf keinem einzigen. Dabei bin ich
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