Lovesong
auf einmal erinnere ich mich an etwas auf der Brücke: Als Mia sich dafür rechtfertigen wollte, dass sie mich verlassen hat, da hat sie aus dem Song »Roulette« zitiert.
Plötzlich kommt es mir so vor, als hätte ich die ganze Nacht Ohrstöpsel getragen, die endlich rausgefallen sind, und alles, was vorher noch gedämpft klang, ist nun klar und deutlich zu hören. Leider ist es aber auch viel zu laut und nicht ganz harmonisch.
Mia hat meine Gitarre. Die Sache ist ganz einfach, und trotzdem hätte ich nicht überraschter sein können, wenn Teddy plötzlich aus dem Schrank gesprungen wäre. Mir ist schwindelig. Ich muss mich setzen. Mia steht direkt vor mir und hält die Gitarre am Steg fest. Sie hält sie mir hin.
»Du?«, ist alles, was ich keuchend hervorbringe.
»Klar ich«, erwidert sie schüchtern, aber sanft. »Wer denn sonst?«
Mein Gehirn hat sich von meinem Körper verabschiedet. Meine sprachlichen Fähigkeiten sind momentan auf das Wesentliche reduziert. »Aber … warum?«
»Irgendjemand musste sie ja wohl vor dem Hard Rock Café retten, oder?«, meint Mia lachend. Doch das Zittern in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
»Aber …«, wie ein Ertrinkender klammere ich mich an die rettenden Worte. »… du hast doch gesagt, dass du mich gehasst hättest.«
Mia stößt ein tiefes, langgezogenes Seufzen aus. »Ich weiß. Ich musste doch irgendjemanden hassen, und du warst derjenige, den ich am meisten liebte; deswegen fiel die Wahl auf dich.«
Sie hält mir wieder die Gitarre hin und bedeutet mir, sie endlich zu nehmen. Sie will, dass ich sie nehme, aber ich könnte im Moment nicht mal einen Wattebausch halten.
Sie starrt mich weiter an, hält sie mir weiter hin.
»Und was ist mit Ernesto?«
Ein Ausdruck der Verwunderung tritt auf ihr Gesicht, gefolgt von einem amüsierten Grinsen. »Er ist mein Mentor, Adam. Er ist verheiratet .« Sie blickt eine Sekunde lang zu Boden. Als sie wieder aufschaut, hat sich ihr Ausdruck erneut verändert. »Und außerdem, was geht dich das eigentlich an?«
Geh doch zurück zu deinem Geist, höre ich Bryn mich anbrüllen. Doch sie liegt völlig daneben. Bryn ist diejenige, die mit einem Geist gelebt hat – dem Geist des Mannes, der nie aufgehört hat, eine andere zu lieben.
»Es hätte nie eine Bryn gegeben, wenn du nicht beschlossen hättest, mich hassen zu müssen«, erwidere ich jetzt.
Mia lässt sich nicht beirren. »Ich hasse dich nicht. Ich glaube nicht, dass ich das jemals getan habe. Es war nur Wut. Und als ich mich dieser Wut einmal gestellt hatte, als ich sie verstanden hatte, da verschwand sie wieder.« Sie blickt zu Boden, atmet tief durch, und als sie ausatmet, kommt es einem Tornado gleich. »Mir ist klar, dass du so was wie eine Entschuldigung erwarten kannst; ich versuche schon die ganze Nacht, es hinter mich zu bringen, aber diese Worte – Verzeihung, Entschuldigung –, sie scheinen mir irgendwie nicht angemessen für das, was du eigentlich verdient hättest.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß, dass das, was ich dir angetan habe, alles andere als in Ordnung war, doch damals hatte ich das Gefühl, dass ich nicht anders würde weiterleben können. Keine Ahnung, ob das einen Sinn ergibt, aber es war nun mal so. Wenn es dich irgendwie tröstet: Nachdem es mir nicht mehr notwendig schien, dich zu hassen, nachdem es sich plötzlich als kapitaler Fehler entpuppte, da blieb mir nichts als schmerzliche Reue, und ich vermisste dich so sehr. Doch ich konnte dich nur noch aus der Ferne beobachten, konnte dir zusehen, wie du deine Träume verwirklichtest und wie du dieses scheinbar so perfekte Leben führtest.«
»Es ist kein bisschen perfekt«, sage ich.
»Inzwischen hab ich das auch kapiert, doch woher hätte ich das denn wissen sollen? Du warst so unglaublich weit weg von mir. Das hatte ich akzeptiert. Ich hatte akzeptiert, dass das die Strafe war für das, was ich getan hatte. Und dann …«, sie lässt den Satz unvollendet.
»Was dann?«
Sie schnappt nach Luft und zieht eine Grimasse. »Und dann taucht Adam Wilde plötzlich am wichtigsten Abend meiner Karriere in der Carnegie Hall auf, was mir ganz und gar nicht wie ein Zufall vorkam. Es fühlte sich eher an wie ein Geschenk. Ein Geschenk von ihnen. Anlässlich meines allerersten Auftritts haben sie mir ein Cello geschenkt. Und anlässlich dieses Konzerts haben sie mir dich wiedergegeben.«
Sämtliche Haare an meinem Körper haben sich aufgerichtet, ein Frösteln läuft mir über den
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