Lovesong
Künstler«, erwidere ich und lasse meine Hände unter ihr Hemd und dann den langen Oberkörper rauf und wieder runter gleiten. Unser beider Haut drängt sich aneinander, als handle es sich dabei um zwei Magneten, die schon lange nach ihrem Gegenstück suchen.
Ich wandere mit dem Finger über ihren Nacken, ihre Wange entlang und nehme dann ihr Kinn in die Hand. Ich rühre mich nicht mehr. Wir stehen einen Augenblick so da, starren uns gegenseitig an, genießen den Moment. Und dann prallen wir plötzlich aufeinander. Mias Beine heben vom Boden ab, schlingen sich um meine Hüften, ihre Hände vergraben sich in meinem Haar, meine Hände in ihre verkrallt. Und unsere Lippen. Sie scheinen nicht genug Haut, nicht genug Speichel, nicht genug Zeit zur Verfügung zu haben, um all die verlorenen Jahre nachzuholen, als sie nun aufeinandertreffen. Wir küssen uns. Wir stehen unter Hochspannung. Wahrscheinlich flackern gerade in diesem Moment die Lichter in ganz Manhattan, weil wir einen Kurzschluss erzeugen.
»Nach drinnen!«, drängt Mia, halb im Befehlston, halb flehentlich. Ihre Beine sind immer noch um meine Hüften geschlungen. Ich trage sie rein in ihr winziges Zuhause und lege sie auf die Couch, auf der wir vor ein paar Stunden noch getrennt voneinander und doch zusammen geschlafen haben.
Dieses Mal allerdings sind wir hellwach. Und so richtig zusammen.
Wir schlafen ein, wachen aber mitten in der Nacht auf, vom Heißhunger geweckt. Wir bestellen uns was zu essen und nehmen es mit hoch ins Bett, wo wir es verschlingen. All das kommt mir vor wie ein Traum, wobei das Unglaublichste ist, dass ich im Morgengrauen erwache. Neben Mia. Ich sehe ihren schlafenden Körper da liegen und bin plötzlich so glücklich wie noch nie. Ich ziehe sie an mich und schlafe wieder ein.
Als ich jedoch ein paar Stunden später erneut aufwache, sitzt Mia mit angewinkelten Beinen in einem Sessel am Fenster, eingehüllt in eine alte Decke, die ihre Gran gehäkelt hat. Sie sieht bezaubernd aus. Die Furcht, die mich in dem Moment wie eine Granate mitten in die Eingeweide trifft, ist fast so schlimm wie alles, was ich mit ihr bisher durchgemacht habe. Und das will wirklich etwas heißen. Alles, was ich denken kann, ist: Ich kann dich kein zweites Mal verlieren. Denn dieses Mal würde es mich umbringen, garantiert.
»Was ist los, stimmt was nicht?«, frage ich, bevor ich nicht mehr den Mut habe, es zu tun, und stattdessen etwas völlig Bescheuertes mache, wie zum Beispiel abhauen, bevor mein Herz völlig in Flammen steht.
»Ich hab bloß gerade an die Highschool denken müssen«, meint Mia traurig.
»Na, da würde ja echt jeder schlechte Laune kriegen.«
Mia geht nicht darauf ein. Sie verzieht keine Miene. Kraftlos sackt sie in ihrem Sessel zusammen. »Ich hab mir überlegt, dass wir wieder einmal in derselben Situation sind. Wie damals, als ich auf die Juilliard ging und du dich aufmachtest, um dahin zu kommen, wo du jetzt bist.« Sie sieht zu Boden, wickelt sich einen Faden der Decke um den Finger, bis die Kuppe ganz weiß wird. »Nur dass wir damals mehr Zeit hatten, uns darüber Gedanken zu machen. Und jetzt haben wir gerade mal einen Tag, vielmehr hatten wir einen Tag. Die vergangene Nacht war einfach unglaublich, aber es war nun mal nur eine Nacht. Ich muss in etwa sieben Stunden nach Japan aufbrechen. Und du hast deine Band. Und die Tour.« Sie presst sich die Handballen auf die Augen.
»Mia, hör sofort auf damit!« Meine Stimme hallt von den Schlafzimmerwänden wider. »Wir sind doch nicht mehr in der Highschool!«
Sie sieht mich an, und eine unausgesprochene Frage schwebt zwischen uns im Raum.
»Sieh mal, meine Tour fängt doch erst in einer Woche an.«
Ein Funken Hoffnung scheint aufzuflackern.
»Und weißt du was? Ich dachte vorhin schon, dass ich total Lust auf Sushi hätte.«
Ihr Lächeln wirkt traurig und voller Reue, nicht gerade das, was ich mir erhofft hatte. »Du würdest mit mir nach Japan kommen?«, fragt sie ungläubig.
»Ich bin schon so gut wie da.«
»Das wäre schön. Aber was dann? – Ich meine, mir ist klar, dass wir eine Lösung finden könnten, aber ich werde so viel unterwegs sein und …«
Wie ist es nur möglich, dass es so schwer für sie ist, es zu begreifen, wo es doch für mich ganz klar auf der Hand liegt? »Ich komme einfach immer als deine Begleitung mit zu den Konzerten«, erkläre ich ihr. »Als dein Groupie. Dein Roadie. Dein Was-auch-immer. Wo auch immer du hingehst, ich komme mit dir.
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