Luc - Fesseln der Vergangenheit
die Sicht auf dem Uferweg war klar. Obwohl die Temperaturen bei rund fünfzehn Grad lagen, fröstelte Luc in seinem dünnen T-Shirt. Sein Körper war noch auf afghanische Klimaverhältnisse eingestellt.
Von Senator Harper hatten sie erfahren, dass Collins seit Jahren jeden Morgen um halb sechs mit seinen Personenschützern am Ufer entlangjoggte. Tagsüber war der See ein beliebtes Ausflugsziel, um diese frühe Uhrzeit lag er dagegen wie ausgestorben mit spiegelglatter Oberfläche vor Luc. Damit hatten sie die ideale Gelegenheit, an Collins heranzukommen, denn seine Villa in dem bei Pendlern beliebten Vorort von Washington war genauso hermetisch abgeriegelt wie sein Büro in der Hauptstadt.
Luc dachte an Jasmins Onkel, der Collins als Freund betrachtet hatte. Bei ihrem kurzen Telefonat war ihm anzuhören gewesen, wie sehr der Verrat seines vermeintlichen Freundes ihn schockierte.
Auf Jasmin war der Senator dagegen nicht eingegangen, sondern hatte sich nur nach ihrem Aufenthaltsort erkundigt und sich bestätigen lassen, dass es ihr gut ging. Die Zurückhaltung hatte Luc erstaunt, aber er hatte sie wie ein unerwartetes Geschenk hingenommen. Auf die inquisitorischen Fragen, mit denen er gerechnet hatte, konnte er gut verzichten.
Dichtes Gebüsch rahmte den Weg ein, aber keine Bewegung verriet, dass sich in dem Blätterdickicht seine Männer verbargen und mit hochsensiblen technischen Geräten seine Begegnung mit Collins aufzeichnen würden.
Seine Kleidung zeigte, dass er unbewaffnet war, aber ehe Collins Personenschützer ihn nicht auf versteckte Sender durchsucht hatten, rechnete er nicht mit einem ehrlichen Wort des ehemaligen Politikers und einflussreichen Lobbyisten. Verdammt, Collins galt als graue Eminenz, sein Wort hatte Gewicht, sein Renommee war beachtlich. Und ausgerechnet dieser Mann war in dermaßen dreckige Geschäfte verwickelt? Die Vorstellung war ungeheuerlich, aber alleine die Tatsache, dass US -Streitkräfte einen bewaffneten Einsatz im eigenen Land durchführten, zeigte, wie gerechtfertigt der Verdacht war. Anderenfalls hätten Browning und die Admiräle sich niemals auf eine dermaßen riskante Aktion eingelassen. Wenn sie sich irrten oder Mist bauten, war es nicht nur mit ihren Karrieren vorbei, sondern sie würden im Knast landen, schließlich gab es gute Gründe, warum sich Militärangehörige laut Gesetz nicht an bewaffneten Konflikten im eigenen Land beteiligen durften. Andererseits war an diesem Fall nichts normal und offiziell waren sie als Unterstützung für die Navy-Polizei vor Ort.
Der Gedanke an die rechtliche Lage brachte Luc zum Schnauben. Das war sein geringstes Problem. Irgendwie musste er Collins von seinen Personenschützern trennen und ihn dazu bringen, ehrlich und offen mit ihm zu reden. Wenn es weiter nichts war … Das Ganze hatte etwas von der Idee, einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen zu wollen, aber auch das soll schon funktioniert haben.
Er blickte den Weg entlang und erkannte eine schemenhafte Gestalt, dann zwei weitere. Wie erwartet, lief ein Leibwächter vorweg, Collins in der Mitte und der zweite Mann sicherte ihn von hinten ab. Für seine fünfundsechzig Jahre war der Politiker gut in Form, aber das würde sich im Gefängnis vermutlich ändern.
Ruhig blieb Luc direkt am Ufer stehen und sah den Läufern entgegen. Instinktiv fuhr die Hand des Personenschützers zu seinem Schulterhalfter. Als Luc beide Hände auf Brusthöhe hob, entspannte er sich wieder, machte jedoch keine Anstalten, das Tempo zu verlangsamen. Bei dieser Geschwindigkeit würden die drei Männer in wenigen Sekunden wieder außer Hörweite sein.
»Mr Collins? Wir sollten miteinander reden. Schönen Gruß von Melton.«
Die Wirkung war durchschlagend, Collins stolperte und blieb abrupt stehen. Nachdem er Luc offenbar erkannt hatte, öffnete sich sein Mund, aber er brachte keinen Ton hervor. Die Überraschung war definitiv gelungen und damit auch der Gesprächseinstieg. Es wäre ein Alptraum gewesen, wenn Collins die Erwähnung von Melton ignoriert hätte.
Luc zwang sich zu einem Lächeln. »Lucien DeGrasse, aber ich glaube, Sie wissen, wer ich bin und warum ich mit Ihnen reden will.«
Collins hatte seine Fassung entschieden zu schnell wiedergewonnen und musterte Luc kühl. »Durchsucht ihn auf Waffen und Wanzen.«
Der Befehl wurde ohne übermäßige Härte ausgeführt, aber die Suche blieb erfolglos.
»Nichts«, verkündete der Blonde.
»Bleibt hier und sorgt dafür, dass uns keiner stört.
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