Luc - Fesseln der Vergangenheit
einer abrupten Bewegung löste sie sich von Hamid. Die stumme Warnung im Blick des Afghanen war überflüssig. »Wie geht es Mouna?«
»Gut. Sie wird es überstehen und irgendwie hat ihre Verletzung den Abgrund zwischen ihren Eltern überwunden. Die beiden reden endlich wieder miteinander und überlegen nun gemeinsam, wie es weitergeht. Vielleicht liegt doch in jedem Unheil auch etwas Gutes.«
»Ich habe dir versprochen, dich um nichts zu bitten, aber das werde ich in gewisser Weise nicht halten können.« Luc knirschte vor Ärger mit den Zähnen, als Hamids Hand sich um den Knauf seiner Pistole schloss. Außer ihn komplett zu ignorieren, konnte er sich für das offensichtliche Misstrauen nicht revanchieren. »Ich will, dass du sofort fährst. Auch wenn ich das Gebiet hier nicht genau einschätzen kann, brauche ich die Gewissheit, dass ausreichend Abstand zwischen dir und Warzai liegt. Pack deine Sachen und verschwinde. Wenn du Hilfe brauchst, um den Wagen zu checken, übernehme ich das.«
»Das ist nicht dein Ernst. Ich wollte die letzten Stunden ausnutzen, um mit dir … «
Unwirsch unterbrach er sie. »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Im Gegensatz zu dir glaube ich an ein Später. Jetzt zählt nur deine Sicherheit und die ist hier nicht länger gewährleistet. Wer kann schon sicher sagen, dass keiner von Warzais Männern als Vorhut auftaucht.«
»Luc hat recht, Jasmin. Hör auf ihn.« Hamids Miene war wieder undurchdringlich, aber damit konnte Luc leben, zumal er seine eigenen Gefühle ebenfalls entschieden verbarg.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie nickte. »Also gut. Ihr habt gewonnen. Aber ich will, dass du heute noch vernünftig isst und dich ausruhst, und du darfst nicht … «
Erneut unterbrach er sie und zwang sich zu einem Grinsen. »Schon gut, Jamila. Ich kann selbst auf mich aufpassen und denk immer dran, dass ich meine Versprechen halte. Meistens jedenfalls. Manchmal sind gewisse Auslegungen gerechtfertigt, aber nicht in diesem Fall. Wir sehen uns.« Wieder ignorierte er Hamids Gegenwart und legte ihr zärtlich seine Hand an die Wange.
Tränen schossen ihr in die Augen, die sie mit einer heftigen Geste wegwischte. Mit einer ruckartigen Bewegung wandte sie sich ab.
Viel zu schnell war Jasmins Range Rover vollgepackt und stand abfahrbereit vor dem Haus. Luc hatte ihr schweigend geholfen, die Sachen im Wagen zu verstauen. Zwischen ihnen war alles gesagt, der Rest würde sich finden.
Hamid und Alima erschienen, direkt hinter ihnen Kalil. Es folgten Umarmungen und bei den Frauen geflüsterte Versprechungen, während die Männer es vermieden, sich ins Gesicht zu sehen. Jeder von ihnen wusste, dass der brüchige Waffenstillstand beendet war.
Dicht vor Luc blieb Jasmin stehen. So nah und doch unerreichbar.
»Wenn nicht jetzt, dann im nächsten Leben.«
»So geduldig bin ich nicht«, wiederholte er wie einen Schwur.
Ihr Lächeln blitzte auf und verschwand sofort wieder. Wortlos stieg sie ein und fuhr mit durchdrehenden Reifen los.
Luc sah ihr nach, bis sie hinter der Kurve verschwand. Er hätte sich besser auf Hamid und Kalil konzentriert. Den ersten Schlag konnte er halbherzig abwehren, geriet aber ins Taumeln. Ehe er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, traf ihn Hamids Faust am Kinn. Benommen sackte er zusammen. Kalils Fußtritt in seinen Magen konnte er noch ausweichen. Aber er war nicht schnell genug und zu angeschlagen, um wieder hochzukommen und es mit beiden gleichzeitig aufzunehmen. Hamid presste ihm die Mündung der Pistole ins Genick. »Zwing mich nicht, abzudrücken.«
Luc erstarrte mitten in der Bewegung.
»Schon besser.«
Den Spott hätte der Mistkerl sich sparen können. Kalils Angriff kam völlig überraschend von der Seite. Mit der Waffe im Genick hatte Luc keine Chance, den Würgegriff des wesentlich jüngeren Mannes abzuwehren. Er kannte die Nahkampftechnik und spürte bereits die Folgen der abgedrückten Blutzufuhr. Zunehmende Schwärze hüllte ihn ein, nur noch Kalils Griff hielt ihn aufrecht. Dann war es vorbei.
12
Eigentlich ließ die staubige Piste keine derart hohen Geschwindigkeiten zu, aber ohne Rücksicht auf ihren Wagen jagte Jasmin Richtung Kunduz. Wenn sie das Tempo beibehielt, würde sie schon am frühen Nachmittag in ihrer Wohnung eintreffen, aber darum ging es ihr nicht. Statt sich auf die Straße zu konzentrieren, ließ sie den Kilometerzähler nicht aus den Augen. Sie hatte mit sich selbst eine Abmachung getroffen: Sie würde frühestens nach
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