Luc - Fesseln der Vergangenheit
würde. Rasch stand sie auf und murmelte eine Entschuldigung. Dann rannte sie davon. Sie musste weg von den Menschen, die sie liebte und die glaubten, sie zu lieben.
Luc sprang auf und wollte Jasmin hinterherlaufen, aber Hamid hielt ihn mit einem festen Griff zurück. »Lass sie. Du erreichst jetzt nichts. Du hast unbeabsichtigt einen wunden Punkt getroffen.«
»Wieso?«
Statt Hamid antwortete Alima. »Sie kämpft gegen ihre eigenen Dämonen. Aber davon muss sie dir selbst berichten. Ehe sie sich nicht verzeiht, würde sie es nie akzeptieren, dass andere es tun. Sie weiß nicht, dass wir wissen, wovor sie flüchtet, und du solltest es ihr auch besser nicht sagen. Ich bin sicher, dass du Mittel und Wege finden wirst, dies selbst herauszufinden und ihr zu helfen.«
Wütend und ratlos wollte Luc auf weitere Informationen drängen, aber Hamid schüttelte den Kopf. »Meine Frau hat die richtigen Worte gefunden. Nur noch eines. Ihre Schuld ist längst nicht so groß, wie sie selbst glaubt. Mehr wirst du von uns nicht erfahren, es würde dir ohnehin nicht helfen.«
Widerstrebend gab Luc nach und überlegte, was der Auslöser für Jasmins Reaktion gewesen sein konnte. Wieso hatten seine Bemerkungen zu Drohnen und Luftangriffen Jasmin in tiefe Verzweiflung gestürzt? Das ergab keinen Sinn, aber er hatte ihre Qualen beinahe körperlich spüren können.
Mit einer Kopfbewegung brachte Hamid seine Frau dazu, sie alleine zu lassen.
Der Afghane fuhr sich durch die Haare und grinste Luc schief an. »Ist dir bewusst, in welche Lage du mich gebracht hast? Wenn ich mich nicht irre, wärst du in der Lage, ihr zu helfen. Aber das ändert nichts daran, dass wir uns in wenigen Stunden wieder als Gegner gegenüberstehen werden. Ich kann das trennen, ich hoffe, du auch.«
Langsam nickte Luc. »Kann ich. Trotzdem hätte ich gern erfahren, wieso du so … « Er machte eine etwas hilflose Bewegung mit der Hand, weil ihm der richtige Ausdruck fehlte, aber Hamid verstand ihn auch so.
»Wir haben schon vorhin darüber gesprochen, dass es besser wäre, wenn auf beiden Seiten mehr Verständnis für die andere Kultur vorhanden wäre. Wie überzeugend wäre meine Auffassung, wenn ich nicht selbst danach leben würde.« Er zögerte sichtlich, dann bekam seine Miene etwas Wehmütiges. »Es schadet nichts, wenn du erfährst, dass meine Mutter aus England stammt. Mein Vater hat sie dort während seines Studiums kennengelernt. Beide haben uns Respekt, aber auch Toleranz beigebracht. Ist es nicht das, was sowohl die Bibel als auch der Koran fordern? Du wirst dort nirgends eine Stelle finden, die den Jihad, den heiligen Krieg, oder die christlichen Kreuzzüge rechtfertigt.«
Luc hätte zu gerne weitere Fragen nach Hamids Familie gestellt, aber das wäre eine undankbare Reaktion auf die erstaunliche Offenheit gewesen. »Ich sehe das sehr ähnlich und gebe zu, dass ich dich gerne unter anderen Umständen kennengelernt hätte, aber übermorgen wirst du einiges mit Warzai zu klären haben. Ich habe nicht vor, mich ihm auszuliefern, nur um das Wohlergehen deiner Leute nicht zu gefährden. Das musst du schon allein hinbekommen.« Es war absurd, aber Luc grinste breit. »Außerdem habe ich einiges mit einer geheimnisvollen, amerikanischen Ärztin zu klären. Ich hoffe, du verstehst das.«
Statt einer Antwort schlug Hamid ihm kräftig auf den Rücken. »Wer weiß schon, wo dies alles hinführt. Allahs Wege sind manchmal unergründlich. Inschallah – sein Wille geschehe.«
Luc zog es zwar vor, die Dinge selbst zu regeln, verzichtete aber auf einen Widerspruch und akzeptierte stattdessen Hamids Überzeugung.
11
Das Geräusch leiser Schritte weckte Luc sofort. Ein weiteres Zeichen, dass er sich erholt hatte. Als die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, hatte er der Müdigkeit nachgegeben und nicht länger auf Jasmins Rückkehr gewartet. Jetzt kam sie langsam näher und setzte sich neben ihn auf die Matratze.
»Es war dumm von mir, unsere Zeit so zu verschwenden.«
»Verrätst du mir, was ich getan habe?«
»Nichts. Es lag an mir. Bitte frag nicht. Ich habe Angst, dass du mich hasst, wenn du die Vergangenheit kennst.«
»Das würde ich nie.« Er fasste nach ihrer Hand und zog sie an sich. Kurz versteifte sie sich, dann gab sie nach. Als sie neben ihm lag, begann sie am ganzen Körper zu zittern. »Hey, ganz ruhig. Es wird alles gut. Glaub mir.« Ihr unterdrücktes Schluchzen fuhr ihm direkt ins Herz. Sanft streichelte er über ihren Rücken, bis
Weitere Kostenlose Bücher