Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)
dem Bach zu ziehen. Ihn ans Ufer zu hieven. Befahl ihr, Marshall mit kräftigen Schlägen ins Gesicht zurückzuholen. Immer wieder schlug sie zu ...
... bis sie die Wärme ihres Blutes auf der Haut spürte. Es suchte sich seinen Weg entlang der vielen Narben, die ihre Handgelenke bis hinauf zu ihren Armen überzogen.
Wie die Regentropfen an der Fensterscheibe.
Lyn konnte sich nicht daran erinnern, wie lange sie bereits mit der Faust gegen die Wand hämmerte. Immer wieder ...
... klatschte ihre Hand in sein Gesicht, bis Marshall endlich die Augen öffnete. Er sah sie kurz fragend an, dann hielt er ihr lächelnd ihre Brille hin. Dabei bewegten sich seine Lippen. Sie konnte ihn nicht hören. Aber sie verstand dennoch, was er sagte.
Ihr Herz flüsterte es ihr zu.
2. Vergangenheit
Der Glanz der Nacht erstarb. Die Sterne erloschen. Sämtliches Leuchten aus dem Himmelszelt verschwand. Die Unendlichkeit wölbte ihren Schlund über das Plateau, auf dem Luc t'a pan seinem Schmerz freien Lauf ließ, und spie ihm seine Legionen aus Eis ins Gesicht.
Der Törötönöse spürte sie nicht.
Seine Schreie durchbohrten das Pfeifen des Windes, wie der Schrei des Emanata zuvor seinen Artgenossen durchbohrt hatte. Doch gegen die Kraft des Sturmes war selbst Luc t'a pan machtlos. Gegen ihn konnte er lediglich seine Stimme erheben, um ihm für einen Augenblick zu trotzen, bevor sie sich darin verlor.
Ein sinnloses Unterfangen.
Was ergibt überhaupt noch einen Sinn?
Luc t'a pans Arme sanken kraftlos herab. Seine Hände öffneten sich und entließen ihren Inhalt. Die Blutkristalle rollten in den Schnee. Sie glühten nicht mehr vor Hitze, sondern pulsierten nur mehr in regelmäßigen Abständen.
Schlagende rote Herzen.
Sein Blick glitt an sich herunter.
Und ich?
Sein Körper zeichnete sich trotz des Schneegestöbers auf dem Plateau ab. Er stand im Gegensatz zu all dem Weiß, das ihn umgab.
Ein Block aus Schwärze.
Erneut dröhnte sein Schrei durch die Nacht.
Ich hatte alles und halte nichts mehr in den Händen.
3. Gegenwart
Teile des Verputzes rieselten zu Boden. Der Rest zwängte sich in die Wunde, die an Lyns Handballen klaffte. Mit jedem neuen Schlag gegen die Wand trieb sie die Fremdkörper weiter in ihren Körper hinein, begleitet vom Spritzen des Blutes, das unaufhörlich daraus hervorquoll.
„... ich habe sie nicht verloren ...“ waren seine Worte gewesen. Marshall Jenkins hatte zu mir gesprochen und ich habe ihn verstanden.
Ein letztes Mal schlug sie zu, dann verließ sie die Kraft. Ihre Hand glitt wie ein sterbender Wurm an der Wand herab und hinterließ eine rote Spur. Dabei ignorierte sie das Pochen ihres Fleisches. Das Brennen ihrer Wunde.
Einzig das Brennen in ihrem Herzen begleitete den Strom der Tränen, die über ihre Wangen flossen.
Ich habe seine Gedanken gehört, bevor er sie ausgesprochen hatte. Nein, nicht gehört. GESPÜRT ...
... hatte sie schon immer, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie anders war, wie die übrigen Kinder. Doch genau in diesem Moment wusste Lyn, dass nicht nur ihre Behinderungen sie von ihnen unterschied. Jetzt ergab alles endlich einen Sinn.
Zumindest für sie.
Für diesen Augenblick.
All die Beleidigungen. Hänseleien. Die durchheulten Nächte.
All die erfolglosen Versuche ihrer verzweifelten Stiefeltern, sie zu verstehen.
IHR ZU GLAUBEN. Ich habe sie nicht verloren ...
... im Gegenteil. Ich hatte ihn endlich gefunden. Den Glauben an mich selbst. Begann mich selbst zu verstehen. Mich. Mein Herz, das mich bis dahin immer wieder mit Bildern überwältigte, die ich nicht deuten konnte.
Lyn legte ihre verletzte Hand in die andere. Sie betrachtete den versiegenden Blutstrom, der ihre Haut und die Narben auf ihrem Handgelenk wie mit rotem Lack versiegelte. Vorsichtig strich sie mit dem Finger darüber. Früher zählte sie die Narben noch, doch irgendwann wurden es zu viele. Schmerzte die Bedeutung jeder Einzelnen zu sehr. Doch sie waren alles, was ihr noch blieb. Die Schönheit der Bilder in ihrem Herzen war längst verblasst und einer Dunkelheit gewichen, die sie in unregelmäßigen Abständen zu verschlingen drohte. Und jeder Vorhang, der sich dabei über sie legte, beendete ein Stück irgendwo da draußen in der Welt.
Mit Marshall Jenkins als Regisseur.
Lyn ballte ihre Hand zur Faust. Sie empfand Erleichterung, als das verkrustete Blut aufbrach und die Wunde erneut aufriss. Sie vergrößerte. Den Strom erneut
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