Luca's Rezepte
eine meiner harmlosesten Überlegungen war, mir eine Brille mit Fensterglas anzuschaffen, um mein Auge, dieses hochempfindliche, unglaublich zarte Wunder, vor Unvorhergesehenem zu schützen. Wie oft war es mir passiert, dass spritzendes Fett mein Gesicht verletzte, ohne dass ich einen einzigen Gedanken an die möglichen Folgen verschwendet hatte, wie viele unzählig vielfältige Gefahren lauerten überall, um im Handumdrehen aus einem Einäugigen einen Blinden zu machen.
Diese Angst lässt mich nicht los. Bis zum heutigen Tag nicht.
Aber seinerzeit war sie Alltag bestimmend und sollte erst nach und nach auf ein lebenstaugliches Maß heruntergeschraubt werden.
Mein Umfeld reagierte indes liebevoll geschockt.
Allen voran Lorenzo.
Er war es auch, der mich umgehend in der Klinik aufsuchte und alles, was es zu regeln gab, in seine Hände nahm.
Termine mussten abgesagt oder ein Ersatz für sie gefunden werden. Glücklicherweise erklärte Luisa sich sofort bereit, einzuspringen, soweit es ihr möglich war.
Kein Wunder. Sie verdiente gut an mir. Sehr gut. Ihre Rechnung bezüglich meiner Selbstständigkeit war voll aufgegangen. Aber es stand nicht nur geschäftliche Professionalität, sondern ein aufrichtiges Hilfeangebot dahinter, mir in dieser Situation zur Seite zu stehen.
Lorenzo also...
Er kümmerte sich nicht nur um die Organisation meiner Termine - so viele waren es nun auch nicht - er kümmerte sich vor allem um mich. Um meine kruden Gedanken, meine zunehmende Schlaflosigkeit und meine stetig wachsende Augenlos-Paranoia.
Lorenzo war der Erste, der ohne medizinischen Beistand meinen Verband wechseln durfte, und er war auch der Erste, der es schaffte, mich wieder an den Herd zu bringen.
Lorenzo war in diesen Tagen unersetzlich. Er war meine Familie.
Und auf die Familie - das hatte ich so gelernt - kam es eben an.
Shiro erfuhr nichts von alledem. Mir war klar, dass er sofort seine Japanreise abgebrochen hätte, und das wollte ich auf gar keinen Fall. Also klammerte ich diesen Bereich in meinen E-Mails aus und berichtete von einem arbeitsreichen, sorgenfreien Leben, das durch die Vorfreude auf seine Rückkehr eine ganz besondere Würze erhielt.
»Er wird dir nie verzeihen, dass du ihn nicht informiert hast.«, gab Renzo zu bedenken.
» Ich würde mir nie verzeihen, wenn ich es täte . Und was könnte er schon tun...« Ich sah ihn an und strich über seinen Arm. »Ich habe dich, Bruder. Also bin ich doch bestens versorgt...«
»Sie haben ein sehr schönes Braun...«
»...Ah, danke...«
»So weiche Goldsprenkel... mit einem ganz feinen Stich ins Grün...«
Mir gegenüber saß laut Namensschild Silvia Rapoldi, die sich als eine Okularistin vorgestellt hatte. Mit hochkonzentrierter, gewissenhafter Präzision studierte sie nun Farbe und Beschaffenheit meiner verbliebenen Iris.
Es war der Tag meines Glasauges, und ich befand mich im Centro Visione, einem Glasaugenzentrum in Pandino, nahe Milano.
Eine 'Anprobe' für die richtige Form hatte ich bereits hinter mir - nun ging es nur noch um die Produktion.
Und die war faszinierend. Da es sich um mein erstes Glasauge handelte, war meine Anwesenheit erforderlich, beziehungsweise die der 'Originalvorlage'. Denn immer wieder orientierte sich Silvia Rapoldi an meinem vorhandenen Auge und übertrug mit unendlichem Geschick und in einer unglaublichen Präzision feinste Farbnuancen und Charakteristika in die kleine, rot glühende Glaskugel vor sich.
Rund eine Stunde dauerte es, bis sie mir dann das schalenförmige Gebilde präsentierte, das mich aus ihrer hohlen Hand heraus anstarrte.
»In spätestens drei Monaten wirst du ein Neues benötigen...«, sagte sie mit einem eigenartigen Flöten in der Stimme. »Bis dahin hat sich deine Augenhöhle soweit erholt, dass sie ihre endgültige Form erreicht haben wird.....«
Und - schwupps - mit geübtem Griff saß mein neues Auge an seinem künftigen Platz.
Fasziniert und etwas überrumpelt betrachtete ich mich im Spiegel.
Es war sensationell. Selbst ich konnte kaum einen Unterschied erkennen. Mal abgesehen davon, dass es unglaublich irritierend für mich war, dass mich zwar zwei Augen aus dem Spiegel heraus ansahen, aber nur eines zurückblickte.
»Oh Mann! Es bewegt sich mit...«
»Ja sicher.« Sie lachte über meine Reaktion. »Die Zeiten starrer Prothesen sind dank neuer Operationstechniken Gott sei dank vorbei.«
»Das... das wusste ich nicht...«
»Das weiß so gut wie niemand...«
Dies war nun also mein
Weitere Kostenlose Bücher