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Luca's Rezepte

Luca's Rezepte

Titel: Luca's Rezepte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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erstes Glasauge. Nach über einem Monat Einäugigkeit.
    Mein allererstes Glasauge. In einem wirklich sehr, sehr schönen Braun mit ganz, ganz weichen Goldsprenkeln und einem hochfeinen Grünstich.
    Ich liebte es...
     
    Alle liebten es...
    Allein schon, weil damit zumindest optisch wieder so etwas wie Normalität einkehrte.
    Und auch in mir entspannte es sich etwas.
    Das Wundmal der Entstellung war plötzlich so gut wie verschwunden, und an die 'Einsichtigkeit' gewöhnte ich mich rascher, als ich es für möglich gehalten hätte.
    Nur die Angst, auch mein zweites Auge zu verlieren, die blieb unverändert.
    Aber das ließ ich mir nicht anmerken.
    »Gut siehst du aus...«, bestätigten mir alle, und dabei zappten sie dann meist verstohlen von Auge zu Auge, um herauszufinden, welches denn nun die Attrappe war und welches das echte.
    Aber auch das war nur eine Frage der Zeit - da war ich mir sicher - dann hatten sie sich daran gewöhnt.
    Beim Kochen musste ich mich erst einmal umstellen, denn was mir nun fehlte, war das räumliche Sehen. Also veränderte sich meine Körpersprache bei der Zubereitung von Gerichten. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder in die Hocke ging und mir mein Schneidegut nach getaner Arbeit auf Augenhöhe betrachtete. Und nicht selten griff ich daneben, weil ich mich in Abstand und Größe verschätzt hatte. Also wurden meine Bewegungen fließender, da ich begonnen hatte, meinen Mangel an Präzision so auszugleichen. Es war in etwa so, wie wenn man im Dunkeln nach einem Glas Wasser greift, das auf dem Nachttisch steht.
    »Mann, du wirkst so richtig engagiert...«, bemerkte Lorenzo bei meinem ersten Probekochen zuhause. Er hatte mich dazu überredet. Dabei war ich einfach nur übervorsichtig. Ich hatte Angst, mich zu schneiden und befürchtete, meine Resultate würden gröber ausfallen als üblich. Doch es funktionierte verblüffend gut. Wenn es ein Problem gab, so befand es sich in meinem Kopf.
    Nach vierzehn Tagen mit dem neuen Auge begann ich wieder zu arbeiten.
     
    »Es war exquisit, Luca...«, bestätigte Luis, mein bester Kunde.
    Ich war halbwegs beruhigt. Meiner Bitte, mich auf eventuelle Mängel hinzuweisen, wäre er mit Sicherheit nachgekommen. Somit war wohl alles glatt gelaufen.
    Schließlich saßen wir noch lange, nachdem seine Gäste gegangen waren, in einer milden frühsommerlichen Nacht an Deck seiner Yacht und stießen mit Prosecco auf meine 'augenblickliche' Lage an.
    Luis...
    Tja, Luis war anders. Luis war eben Luis.
    Sicher - vor allem mochte er mein Essen, aber er mochte auch mich, und das verbarg er nicht. Zu Beginn fand ich das etwas befremdlich, noch dazu, da ich davon ausgegangen war, sein Herz gehöre der Scharlachroten von Canale 5, aber irgendwann begriff ich, dass er mir ganz unverhohlen Avancen machte, nicht plump zwar, aber doch so unmissverständlich, dass ich mich in der heiklen Situation befand, darauf reagieren zu müssen.
    Das war neu für mich, und dementsprechend hilflos verhielt ich mich denn auch. Ich löste das Problem letztlich dadurch, dass ich Shiro bat, mich von einem der 'Yacht-Abende' abzuholen.
    Und zwar so - abzuholen - dass danach keine Fragen mehr offen blieben.
     
    »Eurasier, wenn ich nicht irre...?«
    »...Ich verstehe nicht...«
    »...Deine Eskorte vom Donnerstag.« Er lächelte dünn und wissend. »...Ein Eurasier. Halb Europäer, halb Asiat...«
    »...Ach soo! Ja! Shiro. Seine Mutter ist Japanerin, sein Vater Italiener...«
    »Was für ein Glück du hast, mon Maître.« So nannte er mich gerne. »Unglaubliche Mischung...«
    Der Plan ging auf. Luis nahm zwar weiter meine Kochkünste in Anspruch - aber eben nur diese. Und damit war das Thema vom Tisch.
    Erfreulicherweise wurde unsere Beziehung danach durch so etwas wie freundschaftliche Züge bereichert. Luis verzichtete auf Zweideutigkeiten, und ich begegnete ihm dafür offener. Das Ergebnis: Es wurde lockerer zwischen uns, unverkrampfter. Luis, stets in Plauderlaune, deckte mich mit Geschichten seines umtriebigen, überwiegend lustbetonten Lebens ein, und ich ließ ihn überschaubar an dem meinen teilhaben.
    So war er auch der Erste, mit dem ich über die letzten Wochen ganz unbefangen reden konnte.
    Er machte sich einfach keine Sorgen um mich, so wie Renzo das tat, der durch seine gut gemeinte, umsorgende Art meine Nerven strapazierte, oder Pius, in dem er wie ein geköpftes Huhn um mich herum lief und pausenlos versuchte, mir Dinge abzunehmen, die ich blind hätte erledigen

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