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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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her – alte Korkschwimmer, Plastikteile und Pappreste, die Eigelege von Wellhornschnecken.
    Aber nirgends ein Zeichen von Lucas. Kein sichtbares Zeichen zumindest.
    Das mag vielleicht albern klingen, aber ich konnte seine Gegenwart spüren. Es lag eine unsichtbare – aber dennoch wahrnehmbare – Spur in der Luft. Etwas wie ein durchsichtiger Tunnel oder das Kielwasser eines Fischs im Meer. Ich konnte die Spur sehen und konnte es doch wieder nicht. Ich konnte sie spüren. Sie folgte dem Spülsaum dort, wo die Wellen gerade so eben nicht mehr hinreichten, hier und da schlingernd und schweifend, um Felsnasen und Sandwehen auszuweichen, ehe sie in die Düsternis verschwand Richtung Point.
    Ich überquerte den Strand und folgte der Spur. Auch wenn
ich
sie manchmal nicht wahrnahm – und teilweise konnte ich es wirklich nicht   –, Deefer spürte sie immer. Er trottete, Kopf hoch und Schwanz wedelnd, den unsichtbaren Tunnel entlang, ich zuckelte hinter ihm her.
    Als wir der Spur immer weiter folgten, bildete sie plötzlich eine Schleife und löste sich auf. Ihr Zweck war erfüllt.
    Ich umrundete gerade den Point, als ich Deefer bellen hörte. Es war dieses eigenartige neue Bellen, das von der Felsklippe, aber diesmal wusste ich, was es bedeutete. Ich sah auf und entdeckte Lucas ungefähr fünfzig Meter vor uns, wie er gerade das Watt überqueren wollte. Wegen des Regenschleiers und der dunstigen See schien es einen Moment so, als ginge er übers Wasser.
    Ich rief: »Lucas! Hey, Lucas!«
    Er drehte sich um und schaute durch den Regen. Ich winkte, aber er winkte nicht zurück. Das kommt daher, dass ich Regenhut und Cape anhabe, überlegte ich. Er erkennt mich nicht.
    »Ich bin es, Cait«, rief ich. »Cait McCann.«
    Er gab noch immer kein Zeichen. Er stand nur da, eine ferne grüne Gestalt im Regen. In dem Moment dachte ich plötzlich, dass ich vielleicht einen großen Fehler beging, dass ich mich wahrscheinlich selber lächerlich machte. Ich meine, was hatte ich mir denn
eingebildet
? Warum sollte er mit
mir
reden wollen? Was bedeutete ich ihm? Ich war ein Niemand, nichts als ein dummes Mädchen, das er am Strand getroffen hatte, noch so ein dumpfer Inselbewohner. Ich war nicht besser als die anderen . . . verdammt, vielleicht erinnerte er sich nicht mal an mich.
    Aber dann sah ich ihn lächeln und er hob seine Hand und winkte mir zu kommen.
    Während ich über den Point lief, hörte ich eine winzige Stimme in meinem Hinterkopf flüstern.
Ist das jetzt so, wie es sein soll? Wie eine Achterbahn? Wie die Gefühle eines ganzen Lebens in eine einzige Minute gepresst? Wie Himmel
und Hölle, süß und sauer, hell und dunkel
. . .
? Wie den Verstand verlieren?
    Ich hatte ein bisschen Probleme zu laufen. Meine Füße schienen doppelt so groß zu sein, ich stolperte durch den Kies vorwärts. Deefer dagegen sprang herum wie ein Welpe. Er lief zu Lucas, blieb vor ihm stehen und schüttelte sich so heftig, dass er fast umfiel.
    »Hallo, Hund«, sagte Lucas.
    Deefer verdrehte die Augen wie ein liebestrunkener Trottel, dann schüttelte er sich wieder und setzte sich hin. Lucas legte ihm eine Hand auf den Kopf und dann beobachteten die beiden, wie ich den Strand hinaufstolperte.
    »Das ist aber ein hübsches Cape«, sagte Lucas, als ich vor ihm stehen blieb.
    »Es ist kein Cape«, keuchte ich. »Es ist ein Allwetter-Poncho.«
    Er lächelte. »Zumindest sehr gelb.«
    »Gelb ist doch okay.«
    »Das ist richtig«, stimmte er mir zu.
    Das Wasser tropfte aus seinem vom Regen dunkel wirkenden Haar, seine Kleidung war schwer von der Nässe. Der durchtränkte Stoff klebte an seinem Körper. Während er mich schweigend ansah, rieb ich mir irgendwelchen nicht existenten Sand aus den Augen und schaute mich um. Hinter ihm spritzte der Regen mit einem dumpfen, ploppenden Geräusch in den weichen, schwarzen Schlick des Watts und erfüllte die Luft mit einem leichten Hauch von Verwesung. Hinter dem Watt war der Wald in eine dunstige Düsternis gehüllt.
    Ich hätte mich merkwürdig fühlen müssen, nehme ich an,so wie ich da stand auf einem verlassenen Strand, in Regenhut und einem lächerlich gelben Cape, ungerührt mit einem fremden Jungen sprechend, der nass bis auf die Haut war – aber das tat ich nicht. Ich fühlte mich überhaupt nicht merkwürdig, sondern eigentlich bloß ziemlich gut. Ich verstand nichts davon und ich war mir auch nicht sicher, warum ich mich gut fühlte, aber das schien mir egal.
    Doch dann, als ich gerade anfing das

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