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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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reden, sieht mich an und fragt: ›Warum machen Sie sich keine Notizen?‹ Ich konnt’s nicht
fassen
.
Warum machen Sie sich keine Notizen?
Scheiße! Ich dachte, Uni hätte was mit freier Willensentscheidung zu tun, weißt du? Erziehung zur Mündigkeit und Eigenverantwortung, die Freiheit, im eigenen Tempo zu lernen . . .«
    Und und und. In einer Tour immer so weiter.
    Das gefiel mir nicht.
    Die Art, wie er sprach, sein ständiges Fluchen, wie er seine Zigarette rauchte und mit den Händen herumwedelte wie ein Möchtegern-Intellektueller . . . es war nur peinlich. Ich fühlte mich unwohl – es war dieses Zusammenzucken vor Unbehagen darüber, dass jemand, den du gern hast und der dir nahe steht, plötzlich anfängt sich wie ein kompletter Idiot zu benehmen. Und es gefiel mir auch nicht, dass er mich so vollkommen ignorierte. Gemessen an der Aufmerksamkeit, die ich von ihm bekam, hätte ich auch gar nicht da sein können. Ich fühlte mich wie ein Fremder in unserem eigenen Auto. Erst kurz bevor wir die Insel erreichten, unterbrach sich Dominic, um Luft zu holen, drehte sich um, kraulte Deefers Kopf (»Hey, Deef«) und wandte sich an mich.
    »Alles klar, Kleine? Wie läuft’s denn so?«
    »Hallo, Dominic.«
    »Was ist los? Du siehst anders aus. Verdammt, was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
    »Dasselbe wollte ich dich fragen.«
    Er grinste und fuhr sich mit der Hand über den blond gefärbten Kurzhaarschnitt. »Gefällt’s dir?«
    »Sehr schick. Surfermäßig. Sehen alle so aus in Liverpool?«
    »Na ja, sie sehen jedenfalls nicht
so
aus«, sagte er und strich mir übers Haar. »Hübsch. Wie nennt sich der Stil   – Igel?«
    »Igel haben Stacheln«, erwiderte ich und richtete ein Haargummi gerade. »Das sind Puschel.«
    »Puschel? Na klar.« Er paffte seine Zigarette. »Wie findest du es denn, Dad?«
    »Ich finde, es steht ihr«, sagte Dad. »Und abgesehen davon hab ich lieber einen Igel in der Familie als einen Neonazi-Surfer.«
    Dominic lächelte, während er weiter auf meine Haare schaute.
    »Und was hält dein Liebster davon?«, fragte er.
    »Wie bitte?«
    »Simon«, sagte er. »Was meint Simon dazu?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ihr habt euch doch nicht etwa getrennt, oder?«
    »Oh, sei doch nicht so kindisch, Dominic. Simon ist bloß ein Freund   –«
    »In dem Glauben möchte er dich gern lassen.«
    Ich stöhnte. »Mann, ich dachte, du würdest erwachsen, wenn du zur Uni gehst?«
    »Ich doch nicht«, antwortete er und zog ein Gesicht. »Ich entwickle mich rückwärts.«
    All die schlechten Erinnerungen an Dominic kamen langsam wieder hoch. Das Sticheln, die höhnischen Bemerkungen, dass er mich ständig auf den Arm nahm und wie ein dummes kleines Mädchen behandelte . . . Ich glaube, das war einer der Gründe, warum ich ein bisschen verhalten war über seine Rückkehr – ich wollte nicht mehr wie ein dummes kleines Mädchen behandelt werden, schon gar nicht von jemandem, der sich selbst nicht dem eigenen Alter entsprechend aufführte. Und die Tatsache, dass ich ein Jahr zugebracht hatte,
ohne
ständig wie ein Trottel behandelt zu werden, machte das Ganze noch schlimmer. Ich war es nicht mehr gewöhnt. Und wenn man etwas nicht gewöhnt ist, ist es noch schwerer, damit klarzukommen. Deshalb wurde ich langsam sauer.
    Aber dann, gerade als ich dabei war, ernstlich wütend zu werden, reichte Dominic nach hinten und berührte ganz leicht meine Wange.
    »Schön, dich zu sehen, Cait«, sagte er sanft.
    Einen Moment war er wieder der Dominic, den ich kannte, bevor er volljährig wurde, der
wahre
Dominic, der, der auf mich aufpasste, wenn es nötig war, dass jemand auf mich aufpasste – mein großer Bruder. Aber fast im selben Augenblick zuckte er die Schultern und wandte sich ab, als wäre er sich selbst unangenehm, und das alte Großmaul Dom war wieder da.
    »Hey Dad«, donnerte er los, »verdammt, wann besorgst du dir endlich ein neues Auto?«
    »Und wozu brauche ich ein neues Auto?«
    »Weil das hier ein verfluchter Schrotthaufen ist.«
    Sehr freundlich.
     
    Der Inselhimmel hat sein eigenes unverkennbares Licht, einen schillernden Glanz, der sich mit den Stimmungen der See verändert. Es ist nie gleich und doch immer gleich. Wenn ich es sehe, weiß ich jedes Mal, dass ich gleich zu Hause bin.
    Zu Hause, das ist eine kleine Insel mit Namen Hale. Sie hat eine Länge von ungefähr vier Kilometern und bringt es an der breitesten Stelle auf zwei Kilometer. Mit dem Festland ist sie durch eine schmale Straße

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