Lucas
Decke strich, um nach ihnen zu tasten, hörte ich, wie die Haustür unten aufsprang. Ich hielt inne und lauschte. Tiefe, gedämpfte Stimmen . . . ein Lachen . . . das Schließen der Tür . . . Schritte im Flur. Ich atmete aus. Sie gingen in die Küche. Ich ließ meine Hand wieder über das Bett fahren, bis ich sicher war, dass ich alle Pillen hatte, dann kippte ich sie in das Plastikfläschchen und widmete mich dem Fußboden. Herrje, sie lagen wirklich
über all
. Unterm Bett, an der Fußleiste, mitten in Doms dreckiger Wäsche . . . So leise ich konnte, ließ ich mich auf Hände und Knie nieder, kroch herum und las die Pillen auf, während ich gleichzeitig immerzu horchte, ob Schritte die Treppe heraufkamen. Zentimeter um Zentimeter rutschte ich auf dem Boden herum, suchte den Teppich vor meinen Augen ab, griff mit beiden Händen nach den Pillen und mit der Zeit glaubte ich, dass ich es gerade so eben schaffen könnte. Es ging gut voran. Die Flasche füllte sich. Die Pillen auf dem Boden verschwanden allmählich. Schwache Geräusche aus der Küche sagten mir, dass Jamie und Dom noch unten waren.Ich brauchte nur noch ein paar Minuten, bis ich die letzten Pillen eingesammelt, ein letztes Mal in die Runde geschaut und das Fläschchen zurück in die Schublade gelegt haben würde, dann konnte ich raus und über den Flur in mein Zimmer schleichen . . .
Plötzlich hörte ich sie nach oben kommen.
Ich war an der Tür und hob gerade eine Pille auf, die unter dem Teppich festhing. Ich warf sie in das Fläschchen, sprang auf und griff mechanisch nach der Klinke. Aber es war zu spät. Ich wusste es. Sie waren bereits halb oben. Ich konnte sie reden, stöhnen und lachen hören. Selbst wenn ich sofort die Tür öffnete, würden sie mich sehen.
Ich saß in der Falle.
Laut atmend trat ich zurück, lief hinüber zum Bett und schaute mich dabei um, ob ich wirklich alle Pillen gefunden hatte. Ich wusste nicht, was ich tat. Irgendwo in meinem Hinterkopf sah ich Dominic die Tür öffnen und mich fragen, was ich, verflucht noch mal, bei ihm zu suchen hätte, und ein Strom halbgarer Entschuldigungen sprudelte schon aus meinem Mund –
Oh, ich habe nur etwas gesucht . . . Ich dachte, ich hätte etwas gehört . . . Ich hab nur ein bisschen aufgeräumt . . .
Es wäre vergebene Liebesmüh. Er wüsste sofort, dass ich log. Jetzt kamen sie über den Flur, am Badezimmer vorbei . . . dann blieben sie stehen. Ich hörte jemanden an eine Tür klopfen, danach rief Dominic meinen Namen. »Cait? Bist du da drin? Cait?« – und ich begriff, sie standen vor meinem Zimmer und prüften, ob ich da war. Ich hörte Jamie etwas sagen, aber ich konnte nicht verstehen, was, dann hörte ich, wie jemand die Tür meines Zimmers öffnete.
Meine Haut war eiskalt.
Ich beugte mich hinab und legte das Pillenfläschchen in den Nachttisch.
Meine Hände zitterten.
Leise schloss ich die Schublade.
Ich hörte, wie meine Tür wieder zuging. Wieder gedämpfte Stimmen, dann kamen ihre Schritte über den Flur und blieben vor Doms Zimmer stehen.
Ich konnte mich nicht rühren.
Ich starrte versteinert auf die Türklinke.
Einen Moment geschah nichts. Vielleicht haben sie sich anders entschieden, dachte ich. Vielleicht haben sie etwas vergessen und kommen gar nicht herein. Vielleicht kehren sie um und gehen wieder nach unten und alles ist gut . . .
Dann bewegte sich die Klinke und die Tür schwang auf.
Es ist erstaunlich, wie schnell man sich bewegen kann, wenn der Kopf abschaltet und der Körper übernimmt. Das ist der Überlebenstrieb, nehme ich an. Das vegetative Nervensystem, die Urreflexe, Kampf oder Flucht . . . was auch immer. Ich weiß nicht, was es ist oder wie es funktioniert . . . aber ich glaube, das ist genau der Punkt. Wenn man wüsste, wie es funktioniert, würde es nicht mehr klappen. Bewusstes Denken ist ja schön und gut, aber wenn man es genau nimmt, ist es das Nicht-Wissen, was die ganze Arbeit macht.
Ich
wusste nicht, was ich tat, als die Tür aufging, aber dafür mein Körper. Er beugte meine Knie, warf mich auf den Boden, streckte meine Arme aus und rollte mich unter das Bett. Ehe ich wusste, was geschah, war alles vorbei – zappzarapp.Halbe Sekunde, höchstens. Als sich mein Verstand wieder einschaltete, lag ich schon auf dem Rücken, starrte auf die Unterseite von Dominics Matratze, lauschte konzentriert, während die Tür zuschlug und sich im Zimmer Stimmen ausbreiteten. ». . . wahrscheinlich am Strand oder so. Vielleicht ist sie ja
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