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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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lernte das Haus noch einmal ganz neu kennen.
    Im vorderen Zimmer räumte ich ein paar Zeitschriften auf, strich die Kissen auf dem Sofa glatt, schaltete den Fernseher an und wieder aus. Ich stöberte eine Weile im Bücherregal und erinnerte mich an all die Bücher, die ich immer schon hatte lesen wollen und es nie geschafft hatte –
Wer die Nachtigall stört, Die Glasglocke, Mehalah, Die Ballade vom traurigen Café
–, dann ging ich hinüber zu dem großen Erkerfenster, von dem aus man über den Garten schaut. In der Ferne sah ich, dass die Ebbe eingesetzt hatte und das zurückweichende Meer ruhig und silbern im Licht der tief stehenden Sonne lag. Flimmernde Lichtbalken breiteten sich auf demWasser aus wie Adern in einem Blatt. Ich rieb mir die Augen und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Das Haus war still.
    Niemand daheim.
    Nur ich und Deefer.
    Ich schaute den Weg hoch, sah, dass dort nichts war, dann ging ich nach oben in Dominics Zimmer.
     
    Die Vorhänge waren geschlossen und das Licht war aus. Ich ging hinüber zum Fenster und zog die Vorhänge zurück. Draußen bezog sich der Himmel, kalte Schatten krochen über den Hof. Ich drehte mich um und betrachtete das Zimmer. Es sah viel leerer aus, als ich es in Erinnerung hatte. Ein Bett, ein Nachttisch, eine Kommode, ein Korbstuhl am Fenster, das war schon alles. Leere Regale, kein Zierrat, keine Bilder an der Wand. Hier lebte niemand mehr. Es war nur ein trister, leerer Raum. Das Bett war nicht gemacht, ein Berg Kissen lag zusammengeknüllt daneben, lauter dreckige Anziehsachen waren über den Raum verteilt und in der Mitte breitete sich ein chaotischer Haufen Zeugs aus einem umgestülpten Rucksack aus: Bücher, Zeitschriften, Einmalrasierer, eine Packung Zigaretten, Briefe, Zugfahrkarten, Kaugummipapier, Münzen . . .
    Ich setzte mich auf die Bettkante und sah mich um.
    Ich wusste nicht, was ich hier eigentlich machte. Ich wusste nicht, wonach ich suchte oder warum oder was ich tun würde, wenn ich etwas fände. Und selbst wenn ich
wirklich
etwas fände, wusste ich, es würde nichts ändern. Es würde kein einziges Problem lösen und auch nicht bewirken, dass es mir danach besser ging. Und was das Schlimmste war: Ichwusste im Innern, dass es falsch war, was ich hier tat. Es war feige. Heimtückisch. Hinterhältig.
    Es war dumm.
    Ich fing an die Schubladen seines Nachttischs zu durchstöbern.
    In der obersten fand ich eine Zigarettenschachtel und ein aufgerissenes Päckchen Zigarettenpapier mit irgendwas auf dem Deckel notiert:
fr7br1k – 07712664150
. Ich starrte die Notiz eine Weile an und versuchte herauszufinden, was sie bedeuten könnte. Der letzte Teil war eindeutig eine Handynummer, aber der Rest ergab nicht viel Sinn.
fr
konnte Freitag bedeuten, überlegte ich. Und
7
konnte ein Datum sein. Aber heute war der neunte, also passte es nicht. Es sei denn, es wäre der 7.
September
gemeint. Ich fing an die Tage abzuzählen, um rauszukriegen, ob der 7.   September ein Freitag war, aber ich kam immer wieder durcheinander und schließlich gab ich es auf. Vielleicht bedeutete es ja auch sieben Uhr. Oder die Hausnummer.
7br . . .
? Nummer sieben, Irgendwas-Straße. Eine Straße, die mit
b
anfing?
    Es war unmöglich.
    Es konnte eine kodierte Nachricht sein. Es konnte alles bedeuten.
    Es bedeutete wahrscheinlich überhaupt nichts.
    Ich ließ das Päckchen zurück in die Schublade fallen, schloss sie und zog die mittlere auf.
    Dort lagen ein paar Zeitschriften –
FHM
und
Maxim
–, ein Zugfahrplan, eine Packung Kondome und ganz hinten versteckt ein Bündel 2 0-Pfund -Scheine, von einem Gummi zusammengehalten. Ich nahm das Geld heraus und zählte es.Spuren von feinem weißem Puder staubten von den Scheinen und es gab Anzeichen, dass sie früher zusammengerollt gewesen waren. Ich zählte siebzehn Scheine – alles in allem 340   Pfund. Es war nicht gerade ein Vermögen, aber das war nicht der Punkt. Der Punkt war: Während Dad Tag und Nacht schuftete, um uns satt zu kriegen, hatte Dominic ein Bündel Bares zweifelhafter Herkunft in seiner Schublade gehamstert. Das erschütterte mich.
    Schweren Herzens legte ich das Geld zurück und öffnete die dritte Schublade, die unterste. Dort gab es keine mysteriösen Codes, keine Kondome, kein Geld, nur eine Reihe zusammengerollter Socken und ein paar Unterhosen. Ich hätte es gern dabei belassen und die Dinge einfach so akzeptiert, wie sie waren – schön geordnet und normal   –, aber ich wusste, das konnte ich nicht.

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